Aktuelle Notiz: Gewalt und Rituale

von Petra Pau
Berlin, 6. Juni 2007

Was sind politische Rituale? Mit dieser Frage befassen sich zuweilen ganze Forschungsprojekte an Hochschulen und Universitäten. Sie forschen und forschen und forschen. Dabei werden ihnen die Belege frei Haus geschickt, via Presseerklärung oder TV-Statements von Politikern und Parteien. Ein klassisches Beispiel wird gerade rund um die G8-Demonstrationen zelebriert.

Am 2. Juni 2007 gab es in Rostock die erste große Demo gegen den bevorstehenden G8 Gipfel. 20 Tausend demonstrierten, sagt die Polizei, 80 Tausend, meinten die Organisatoren. Die eigentlich schwer übersehbare Differenz von 60 Tausend ist kaum mit „PISA“ erklärbar. Sie gehört zum politischen Ritual, das Befürworter und Kritiker verlässlich trennt.

Die Rostocker Demonstration friedlicher und kreativer G8-Kritiker mündete in einer Gewalt-Orgie. Der so genannte autonome schwarze Block lieferte sich mit der Polizei Macht-Kämpfe. Rund Tausend Opfer mussten ärztlich versorgt werden. Auch das war jahrelang zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg ein Ritual. Es konnte in den vergangenen Jahren durchkreuzt werden.

Ein anderes Ritual hat überlebt. Das Rostocker G8-Beispiel belegt es erneut. Nach dem alle Parteien sich von dem allgemeinen Schrecken über die Rostocker Gewalt erholt hatten, und nach dem sich die PR-Experten gesammelt hatten, wurde es pünktlich zu den Standard-Presse-Konferenzen am Montag wieder ausgebuddelt. Die Rostocker Krawalle bilden dabei lediglich die Kulisse.

Die CDU forderte von der SPD, sie möge sich endlich von der Gewalt distanzieren. Die SPD forderte von der Linkspartei, sie solle endlich ihr Verhältnis zur Gewalt klären. Die FDP nannte die Grünen „doppelzüngig“, weil sie sich nicht eindeutig gegen die Gewalt stelle. Und die Grünen erwarten, dass sich das breite Bündnis der G8-Kritiker klarer von Gewalt distanziere.

Alle Genannten hatten es längst getan. Mit unterschiedlichen Nuancen zur Polizei-Taktik. Aber alle hatten Gewalt als Politik-Ersatz klar abgelehnt. Warum also die wechselseitigen Attacken? Weil sie zum politischen Ritual gehören. Und warum werden Bürgerinnen und Bürger immer verdrossener? Eben. Sie durchschauen die dümmlichen politischen Rituale. Sie lehnen sie ab.

Derweil hat der Gewalt-Diskurs die Feuilletons erreicht, mit durchaus unterschiedlichen Sichten auf Sinn und Unsinn der G8-Proteste überhaupt. Ich empfehle daher
„Der unschuldige Stein?“ von Hans Dieter Schütt in „Neues Deutschland“ (http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=110770&IDC=4),
„Das Schlagloch: Das Wort zum Aschermittwoch“ von Mathias Greffrath in der „Taz“ (http://www.taz.de/dx/2007/06/06/a0223.1/text) und
„In der Sackgasse– oder: Mittel beherrschen Ziele“ von Prof. Michael Brie und Dr. Lutz Brangsch von der RLS, (http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte_0709.pdf).
 

 

 

6.6.2007
www.petra-pau.de

 

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