Appell: 40 Jahre nach 68

frage: Möglicherweise haben Sie am Donnerstag, 21. August, in der FR den Text „Zeit für einen zweiten Frühling“ aus dem SPD/GRÜNE-Umfeld (Erler, Grass, Mitscherlich, Müller, Roth, Staeck u. a.) gelesen.

Mich würde interessieren, wie sich die LINKE dazu stellt und ob es möglich wäre, dass Sie oder weitere Personen aus der LINKEN so einen Text mit tragen.

Wilfried Jannack
Niedersachsen
24. August 2008

Sehr geehrter Wilfried Jannack,

für alle, die den von Ihnen erwähnten Text nicht kennen, biete ich vorab einen Link zum Nachlesen an, siehe: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/reportage/1579897_Zeit-fuer-einen-zweiten-Fruehling.html.

Nun zu Ihrer Frage, die ich natürlich nur für mich beantworten kann. Ja, ich teile das Anliegen und den Text weitgehend. Das betrifft den Rückblick auf die Geschichte, insbesondere auf den „Prager Frühling“ 1968 und sein Ende. Richtig ist auch, dass die neudeutsche Geschichtsschreibung selbstherrlich im Westen verharrt. Und selbstverständlich finde ich, dass der neoliberale Marktradikalismus kein hinnehmbares Gesellschaftsmodell ist.

Insofern könnte ich den Text problemlos unterschreiben, wären da nicht zwei Zwischentöne. Zum einen wird allen bescheinigt, die Verstaatlichung für eine Alternative zur Privatisierung halten, dass sie von vorgestern seien. Ich halte das so, wie es beschrieben wird, für falsch. Mich stört auch diese Absolutheit.

Hinzu kommt: Ein Kennzeichen des neoliberalen Marktradikalismus ist doch gerade, dass nahezu alles, was eine Gesellschaft braucht und ausmacht, verantwortungslos privatisiert wird. Bei alledem ging Bundeskanzler Schröder (SPD) übrigens viel forscher ans Werk, als sein Vorgänger Kohl (CDU).

Etliche Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Aufrufes „Zeit für einen zweiten Frühling“ haben ihn dennoch sieben Jahre lang genau dabei tatkräftig unterstützt. Und nun kann ich rätseln: Rücken sie nunmehr selbstkritisch von den Fehlern der rot-grünen Regierungszeit ab, oder...?

Gleichwohl halte ich den Appell für gut und wichtig.

PS:
Er zeigt übrigens noch etwas anderes. Gäbe es eine Partei, deren Programm den Vorstellungen der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner genügte, so bedürfte es nicht dieses Aufrufes. Anders gesagt: Das aktuelle Wahlkampfgetöse, wer das schlechtere, bessere oder gar kein Programm habe, ist sehr kurzsichtig. Und auch deshalb gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es erneut zu einem parteiübergreifenden Crossover-Prozess verschiedener Linker kommt. Es gab dafür Ansätze in den 1990er Jahren. Auch sie wurden mit Rot-Grün beerdigt.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Pau
Berlin, 28. August 2008

 

 

28.8.2008
www.petra-pau.de

 

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