ALG II und Steuer

Sehr geehrte Frau Pau,

seit fast einem Jahr versuche ich permanent mein Wissen zur Problematik Arbeitslosenhilfe und dann ALG II an kompetenter Stelle zu Gehör zu bringen. Zu Ihrem Verständnis. Ich bin Regionalbevollmächtigte und Beratungsstellen-Leiterin eines Lohnsteuerhilfevereines. In meiner Beratungsstelle werden jährlich ca. 1600 Mandanten beraten. Damit fließen mir auch viele Informationen zu.

Besonders die Ermittlung der Einkünfte (z.B. des Ehepartners oder des Lebensgefährten) im Zusammenhang mit den o. g. Leistungen berührt das Steuerrecht stark. Alle von mir in diesem Zusammenhang geprüften Bescheide zu Arbeitslosenhilfe waren zu mehr als 70 % falsch. Meine Information dazu (Erfahrungen) an die Gewerkschaft, Arbeitslosenverband, Abgeordnete der Bürgerschaft vor Ort blieben ohne Reaktion.

Schon in der Vorbereitungsphase zum ALG II habe ich mich mit der Problematik Ermittlung der Einkommen des noch berufstätigen Partners oder volljährigen Kindes im Haushalt beschäftigt. Bei allen anderen Sozialleistungen werden die Werbungskosten im Zusammenhang mit der Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens nach dem Einkommensteuerrecht ermittelt.

Beim Arbeitslosengeld II ist das nun ganz anders:

Beispiel Fahrkosten:

Das EStG gewährt 0,30 Ct/km einfach
Das Arbeitsamt gewährt nur 0,06 Ct/km

Beispiel sonst. Werbungskosten:

Gemäß EStG lt. Nachweis (z.B. dopp. Haushaltsführung u.s.w.)
Das Arbeitsamt: 920/60 = 15,33 €/Monat

Das bedeutet, alle Steuerpflichtigen, die auch zur doppelten Haushaltsführung, Einsatzwechseltätigkeit bereit sind und deren Partner arbeitslos ist, werden bestraft. Es werden für die Fahrten zur Arbeit nur 0,06 Ct pro Kilometer, keine Unterkunftskosten, keine Verpflegungsmehraufwendungen u.s.w. bei der Ermittlung des zu Verfügung stehenden Einkommens berücksichtigt.

Steuererstattungen nach dem EStG werden auch noch als Einkünfte behandelt. Mit dem Ergebnis: ALG II wird in diesen Fällen in der Regel gestrichen. Wie hatte doch ein Bundespräsident gesagt: „Arbeit muss sich wieder lohnen.“ Ein Witz des Jahrhunderts !!!

Weiterhin habe ich festgestellt, dass kein ALG II-Bescheid durch den Betroffenen wirklich geprüft werden kann. Die Position Einkommen und Unterkunftskosten werden jeweils nur in einer einzigen Zahl ausgewiesen. Es ist nicht ersichtlich, wie diese Werte ermittelt wurden.

Durch die PDS wurden zwar Mustereinsprüche (3) ins Internet gestellt - aber auch diese erfassen inhaltlich nicht diese Problematik. Ist sie vielleicht etwas zu kompliziert für unsere Volksvertreter?

Leider darf ich meine Mandanten zum ALG-II nicht beraten. Das wäre unbefugte Hilfeleistung und dieses Verfahren würde dann allerdings mit Sicherheit eingeleitet werden. Es ist ein sch.... Gefühl wenn man helfen könnte, helfen möchte, aber nicht helfen darf.

So, wie ich Sie schon häufig im Fernsehen erlebt habe, erhoffe ich mir von Ihnen eine positive Reaktion und Unterstützung, damit dieser Betrug öffentlich gemacht wird.

Ich würde mich sehr über eine positive Antwort und Unterstützung freuen.
Mit bestem Dank im Voraus
und freundlichen Grüßen
 
Olga Röhrdanz, Mecklenburg/Vorpommern
11. Januar 2005

Sehr geehrte Frau Röhrdanz,

vielen Dank für Ihr Schreiben. Es hilft mir in der politischen Arbeit und ich habe es auch an Sozialexperten in der PDS weitergeleitet, die sich speziell mit „Hartz IV“ befassen.

Sie fragen, ob die „Hartz IV“-Problematik „vielleicht etwas zu kompliziert für unsere Volksvertreter“ ist? Ja, sie ist kompliziert. Aber die PDS im Bundestag müht sich nach Kräften, trotz schlechter Bedingungen.

Wir haben uns die von Ihnen kritisierten Regelungen noch einmal angesehen. Sie sind in der Tat widersprüchlich und sie sind ungerecht.

Das Gesetz ist zum Teil vage formuliert. Die Arbeitsagentur nutz das in ihren Ausführungsbestimmungen restriktiv, also gegen die ALG-II-Betroffenen.

Die Ausführungsbestimmungen der Bundesagentur sind aber kein Gesetz. Ich rate daher Betroffenen, sie anzufechten und gegen ihre Bescheide Widerspruch einzulegen.

Politisch werde ich weiter gegen „Hartz IV“ kämpfen, grundsätzlich und en Detail. Jeder Hinweis, von Betroffenen, mit denen ich täglich spreche, oder von Experten, wie Sie, hilft mir dabei.

In der direkten Antwort an Sie schicke ich Ihnen noch die Meinung von Halina Wawzyniak. Sie ist Anwältin, sie ist stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner PDS und sie spezialisiert sich auf „Hartz IV“.

Mit dankbaren Grüßen

Petra Pau
13. Januar 2005

 

 

13.1.2005
www.petra-pau.de

 

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