Wessis zu egoistisch?

Sehr geehrte Frau Pau,
also zuerst einmal, ich bin betroffen(er). Und dann stört mich sofort der Beifall der Leute, die gerne „Arbeitsunwillige“ getriezt sehen. Wie wäre es denn „wieder“ mit Arbeitslagern und Arbeitsdienst? Also ich bin dabei, um Arbeitswilligkeit zu demonstrieren. Ist eben doch nur heiße Luft, wenn es um „Solidarität“ mit dem Osten (oder auch sozial Schwachen) geht. Wie war das, Kapital sucht sich seine Verwertungsbedingungen selbst? Klappt doch.
Für den echten „Wessi“ gelten immernoch die zwei Hauptdirektiven:
1. Ich teile Ihren Zorn!
2. Was kümmert mich das Elend anderer Leute?

Falk Hennig, Brandenburg
27. August 2004

Kein Ost-West-Konflikt

Sehr geehrter Herr Hennig,

ihrem Brief entnehme ich, dass sie von „Hartz IV“ betroffen sein werden und daher über die so genannte Arbeitsmarktreform heftig verärgert sind. Das verstehe ich gut.

Ich habe den „Hartz“-Konzepten übrigens erstmals am 16. 08. 2002 widersprochen. Sie wurden damals feierlich vorgestellt, verknüpft mit dem Versprechen, die Massenarbeitslosigkeit binnen zwei Jahren dank „Hartz“ zu halbieren.

Seitdem wurden meine Befürchtungen bekräftigt: „Hartz“ schafft nicht mehr Arbeit, sondern mehr arme Arbeitslose und Angehörige. Deshalb hat die PDS den „Hartz“-Gesetzen zu keiner Zeit zugestimmt, nicht im Bundestag, nicht im Bundesrat, nicht im Amt und nicht im Alltag.

Dennoch möchte ich ihrer Wut in einem Punkt widersprechen. „Für den echten ‚Wessi'“, schrieben sie, „gelten immer noch die zwei Hauptdirektiven: 1. Ich teile Ihren Zorn! 2. Was kümmert mich das Elend anderer Leute?“

Ich finde, wir sollten aus „Hartz IV“ keinen Ost-West-Konflikt machen. Ich bin häufig in West-Regionen, wo die Lage ähnlich ernst und die Betroffenen ebenfalls zahlreich sind. Langzeitarbeitslosen in Bremerhaven oder im Saarland geht es nicht besser, als ihren „Kollegen“ in der Prignitz oder in Berlin.

Das schreibe ich auch, weil gegenwärtig böse versucht wird, den Osten gegen den Westen auszuspielen und umgekehrt. Ministerpräsident Gabriel (Niedersachsen / SPD) warnte dieser Tage: Wenn die Ostler weiter demonstrieren, dann werden die Westler keine Solidarität mehr aufbringen.

Das ist eine unverhohlene Drohung, zumindest klingt es so. Bundestagspräsident Thierse (SPD) formuliert subtiler. Die Ostler hätten ein größeres Gerechtigkeits-Gefühl, als der Westler, sagt er. Kann auch heißen: Das Ossi tickt nicht richtig. Jedenfalls schiebt Thierse nach: Die Ostler sollen sich mehr an Polen und Tschechien orientieren, als am Westen. Auch das spaltet.

Die Grünen haben ihren eigenen Dreh gefunden. Das Arbeitslosengeld II werde aus Steuern finanziert. Deshalb hätten die Verkäuferin und die Krankenschwester ein Recht darauf, dass die Politik sparsam mit ihren Abgaben umgeht, mahnen sie. So stellt man die Geringverdiener gegen die Arbeitslosen, während die Vermögenden Steuergeschenke kassieren.

Ich bin so ausführlich darauf eingegangen, weil zur Zeit bewusst und wieder zunehmend versucht wird, die tatsächlichen Konfliktlinien zu verwischen und neue zu konstruieren.

„Hartz IV“, die ganze „Agenda 2010“, ist kein Ost-West-Problem. Die Grundrichtung, die Politik ist falsch. Sie verarmt den Sozialstaat und sie verwirft Werte, wie Solidarität und Gerechtigkeit. Dagegen sollten wir agieren.

Mit solidarischen Grüßen

Petra Pau
28. August 2004

 

 

28.8.2004
www.petra-pau.de

 

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