Antisemitismus ächten

Bundestag, 21. Juni 2017 Debatte zum Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus
Rede von Petra Pau

1. 

Vorab: Wir reden über Artikel 1 Grundgesetz:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wohl bemerkt aller Menschen, unabhängig ihrer Herkunft, ihrer Kultur oder Religion.
 
So weit das Gebot, der Alltag sieht häufig anders aus, zu häufig. Angriffe gegen Jüdinnen und Juden, verbal und tätlich, gehören dazu.
 
Umso wichtiger ist diese Plenardebatte.
Und umso weniger darf sie folgenlos sein.

2. 

Antisemitismus ist eine Menschen verachtende Ideologie.
Sie erniedrigt Menschen, nur weil sie Jüdinnen und Juden sind.
Die Nazis trieben ihn zum Exzess, zum Völkermord, zum Holocaust.
 
Ein Mahnmal unweit vom Bundestag erinnert an diese deutsche Schande.
Zu Recht, zumal Antisemitismus nicht aus der Welt ist, auch hierzulande nicht. Es gibt ihn am rechten Rand und in Mitten der Gesellschaft.
 
Das wollen, ja das dürfen wir nicht hinnehmen.

3. 

Die Debatte heute hat eine Vorgeschichte im Jahr 2008, dem 70. Jahrestag der Reichspogromnacht. Zur selben Zeit wurde publik, dass hierzulande im Schnitt Woche für Woche ein jüdischer Friedhof geschändet wird.
 
Damals hatten Mitglieder des Bundestages eine interfraktionelle Arbeitsgruppe gegen Antisemitismus gebildet.
 
Unter uns waren wir uns einig: Der Kampf gegen Antisemitismus verträgt keine parteipolitischen Scharmützel. Es gab sie im Bundestag dennoch.
Genützt haben sie niemanden, schon gar nicht Jüdinnen und Juden.
 
Umso mehr plädiere ich auch diesmal für Weitsicht und Vernunft.

4. 

Ein Ergebnis 2008 war, dass der Bundestag eine Expertenkommission zum Thema „Antisemitismus“ forderte. Diese hat nach ihrem ersten Bericht 2011 nun ihren zweiten vorgelegt.
 
Demnach folgen 24 - 40 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger antisemitischen Positionen. Je nachdem, ob man die klassischen Klischees anlegt oder den Antisemitismus, der sich auf Israel bezieht.
 
Deshalb will ich hier noch einmal betonen: Unter dem Strich ist es egal, ob Jüdinnen und Juden als Weltverderber angeklagt oder für die Politik Israels in Haft genommen werden: Beides ist nicht hinnehmbar.

5. 

Aber beides gibt es. Kein anderes Volk, keine andere Kultur und keine andere Religion unterliegen einer solchen Pauschalnegation, wie Jüdinnen und Juden durch den Antisemitismus. Das ist irrational fatal.
 
Gleichwohl muss ich einfügen: Diese furchtbare Pauschalablehnung droht aktuell eine ebenso schlimme Kopie, nämlich gegenüber Muslimen, ihrer Herkunft, ihrer Kultur und Religion.
 
Insofern reden wir noch drängender darüber, ob und wie Artikel 1 Grundgesetz noch Bestand haben kann. DIE LINKE drängt darauf.
Wir alle brauchen menschliche Lösungen.

6. 

Jede Fraktion wird den Bericht der unabhängigen Expertenkommission gegen Antisemitismus preisen. So weit, so gut. Ob das bei den Forderungen noch ebenso ist, wird sich zeigen.
 
Deshalb gehe ich nun auf fünf Vorschläge ein.
 
Erstens: Die Expertenkommission plädiert für einen Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung.
Er soll im und aus dem Bundeskanzleramt
a) ein Gesamtkonzept gegen Antisemitismus befördern;
b) die nötigen Initiativen zwischen den verschiedenen Ministerien und
c) die Aktivitäten zwischen dem Bund und den Ländern koordinieren.
 
DIE LINKE wird diesem Vorschlag zustimmen.
 
Allerdings füge ich an: Meine Vorstellungen gehen weiter.
Spätestens aus der NSU-Nazi-Mord-Serie und dem dazu gehörenden Staatsversagen wissen wir:
 
Die Bundesrepublik Deutschland hat ein grundsätzliches Problem mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Seit zwei, drei Jahren mehr denn je.
 
Deshalb plädiere ich seit längerem für eine Beauftragte des Bundestages für Demokratie und Bürgerrechte, die im Bundeskanzleramt ähnliche Aufgaben übernimmt.
 
Zumal es schwer einsehbar ist, dass wir einen Beauftragten für Menschenrechte haben, der weltweit unterwegs ist, und zugleich zuhause, wo die Probleme zunehmen, eine gefährliche Leerstelle lassen.
 
Zweitens: Die unabhängige Expertenkommission fordert eine ehrliche und transparente Erfassung alle antisemitischen Vorfälle und deren juristische Ahndung, sofern dies strafrechtlich geboten ist.
 
Was so selbstverständlich klingt, beschreibt ein anhaltendes Problem.
Die offiziellen Statistiken stapeln noch immer tief, bei rechtsextremen, bei rassistischen und bei antisemitischen Straf- und Gewalttaten.
 
In aller Regel, weil politisch nicht sein darf, was ist. Oder weil die zuständigen Behörden nicht erkennen, wann eine Tat rassistisch oder antisemitisch motiviert ist. Beides ist realitätsfern.
 
Drittens: Es gibt zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich vor Ort und in ihrer Region für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagieren.
 
Das würdigt auch die unabhängige Expertenkommission. Zugleich macht sie auf ein bekanntes Problem aufmerksam.
 
Zwar wurden die Fördermittel finanziell aufgestockt, aber sie gelten immer nur in Jahresscheiben. Das ist kurzsichtig, denn der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus braucht einen langen Atem.
 
Viertens: Die unabhängige Expertenkommission zum Antisemitismus schlägt eine ständige Bund-Länder-Kommission vor, die sich mit diesen Problemen befasst vor.
 
Zyniker könnten einwenden: Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis. Aber sie höhnen zu kurz. Noch immer werden Rechtsextremismus und Rassismus offiziell klein geschwiegen.
 
Zu allen möglichen Themen gibt es ad hoc Kanzler- und Krisen-Gipfel, allemal, wenn es um Geld und Gewinne geht.
Hier stehen Menschen- und Bürgerrechte auf dem Prüfstand. Sie sind wichtiger.
 
Und fünftens: Die Expertenkommission Antisemitismus sollte ermutigt und weiterhin unterstützt werden. Zumal sich neue Probleme zeigen.
 
Ich will nur eines andeuten. Etliche Geflüchtete kommen aus Ländern, in denen Judenhass Staatsdoktrin sind. Sie wurden zu Antisemiten erzogen und haben vom Holocaust nie etwas gehört.
 
Überhaupt rückt die Nazi-Zeit für nachwachsende Generationen in eine Ferne, die weit weg ist und kaum noch relevant scheint. Dazu bedarf es wissenschaftlicher Untersuchungen und Empfehlungen.

Wir diskutieren den Bericht der unabhängigen Expertenkommission zum Antisemitismus heute, wohl wissend, dass der aktuelle Bundestag nahe dem Ende seiner Legislatur ist. Das ist dennoch wichtig.
 
Und niemand hindert die Bundesregierung, drängende Empfehlungen der Antisemitismus-Kommission sofort umzusetzen.
 
Denn eines bleibt: Wird eine Gruppe ihrer Würde beraubt, dann kann das alle treffen und dann ist alles Gerede von westlichen Werten hohl. Das will ich nicht. Das will DIE LINKE nicht. Dem sollten wir alle wehren.

8. 

Ein Schlussgedanke:
Wir sprechen über Jüdinnen und Juden im Bundestag meist nur, wenn es gegen sie geht, also beim Thema Antisemitismus.
 
Das muss sein, kann aber zugleich ein schiefes Bild bedienen.
 
Trotz Holocaust in der Nazi-Zeit und obwohl Jüdinnen und Juden auch aktuell zahlreichen Angriffen ausgesetzt sind, gibt es längst wieder ein vielfältiges jüdisches Leben. Das ist für uns alle eine Bereicherung.
 
Ich sage dies auch aus aktuellem Erleben. Auch Volker Beck war dabei als am vergangenen Wochenende in Berlin eine Jüdin ordiniert wurde. Die erste seit der Nazi-Zeit. Nun ist sie Rabbinerin, eine jüdisch-konservative, betont sie. Ja, auch das gibt es.
 
Es war eine religiöse und kulturelle Feierstunde. Sie gehört zu der bunten Vielfalt, die gegen plumpe Einfalt zu schützen und zu fördern ist.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

[als Video]

 

 

21.6.2017
www.petra-pau.de

 

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