Aktuelle Notiz: Die Kanzlerin im Visier?

von Petra Pau
Berlin, 24. Juni 2007

Ob PDS, Linkspartei.PDS oder nun DIE LINKE - ich war immer im Visier des Verfassungsschutzes. Als ich noch Landesvorsitzende der Berliner PDS war, wurde ich verlässlich in den Berichten des Verfassungsschutzes zitiert. Später wurde publik, dass der Verfassungsschutz einen V-Mann in mein Wahlkreis-Büro platzieren wollte. Und meine jüngste Anfrage ergab: Ich darf mich auch als Vize-Präsidentin des Bundestages bester Überwachung erfreuen.

Deshalb verstehe ich auch den aktuellen Geifer anderer Parteien nicht. Sie fordern, allen voran die Unionsparteien, der Verfassungsschutz möge sich endlich die DIE LINKE vornehmen. Er tut es seit Jahren. Und wir haben Belege: Jede und jeder, also alle, die sich in die Nähe der Linkspartei begeben, laufen Gefahr, beobachtet und als potentielle Verfassungsfeinde registriert zu werden - normale Bürgerinnen und Bürger, allemal in den alten Bundesländern.

Warum? CDU-General Pofalla empörte sich dieser Tage, weil DIE LINKE „das System überwinden will“. Davon war auf dem Links-Parteitag die Rede. Es ging um eine Gesellschaft, die nicht von Kapitalinteressen dominiert wird. Diese Botschaft hätte auch vom Papst oder vom „Club of Rome“ stammen können. Aber Pofalla reichten die Reizwörter „System“ und „überwinden“. Womit er nur belegt: Er hat nicht einmal Ahnung von seiner eigenen Partei, der CDU.

Im Herbst 1996 gab es einen Parteitag der CDU. Ein prominenter Redner beklagte sich damals über eine (Zitat) „Systemkrise“ hierzulande. Und er forderte unter starkem Beifall der Delegierten einen (Zitat) „systematischen Umsturz aller Verhältnisse.“ Der Redner hieß Peter Hintze. Er war damals Generalsekretär der CDU. Ein Fall für den Verfassungsschutz wurde er nie. Das ist auch gut so. Er hatte vernehmbar seine Meinung gesagt, mehr nicht.

Aber das Beispiel kann erhellen, wie der Verfassungsschutz parteipolitisch und taktisch instrumentalisiert wird. Sage niemand, das laufe ins Leere. Wenn in den Nachrichten gemeldet wird, diese oder jene Partei oder Organisation werde vom Verfassungsschutz beobachtet, dann gilt sie für viele als gemeingefährlich. Es wird behauptet. Belegt wird nichts. Aber der Vorwurf steht wie ein Urteil. Das betrifft übrigens auch die „Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes“.

Nun hat die Fraktion DIE LINKE beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Etliche Abgeordnete werden nachweislich vom Verfassungsschutz beobachtet. Folglich also auch Personen, die mit ihnen Kontakt haben, zum Beispiel Wähler, die in meine Sprechstunde kommen. Im Dezember 2006 hatte die Bundesregierung zudem eingeräumt, dass die Fraktion DIE LINKE insgesamt im Visier des Verfassungsschutzes ist. Und spätestens da wird es grundsätzlich.

Laut Grundgesetz gelten die Bürgerin und der Bürger als Souverän. Sie wählen Abgeordnete. Die wiederum haben unter anderem die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. De facto aber kontrolliert die Regierung das Parlament. Zum Beispiel, indem sie Abgeordnete und Fraktionen durch Geheimdienste observieren lässt. Eine demokratische Kontrolle der Geheimdienste indes gibt es nicht. Das kann nicht im Sinne des Grundgesetzes sein, aber es ist Praxis.

Es gibt weitere Folgen. DIE LINKE wird verdächtigt, verfassungsfeindlich zu sein. Eine Lehrerin, zum Beispiel in Bayern, wird sich daher kaum offiziell zur Linkspartei bekennen, auch nicht, wenn sie mit ihr sympathisiert. Ihre Chancen, im Freistaat beamtet zu werden, würden gegen Null sinken. Dadurch wird ihre Souveränität von Staats wegen bedrängt und beschränkt, als Bürgerin und als Wählerin. Zugleich wird DIE LINKE behindert und ihrer Rechte beraubt.

Denn die Stigmatisierung führt dazu, dass DIE LINKE weniger Mitglieder hat als sie ohne den Stempel „verfassungsfeindlich“ haben könnte. Die Zahl der Mitglieder und Wähler ist aber maßgeblich für die Finanzkraft der Parteien. Parteien sollen laut Grundgesetz an der politischen Willensbildung der Gesellschaft teilhaben. Je weniger finanzielle und personelle Ressourcen sie dafür haben, umso schlechter sind ihre Karten. Das ist die kalkulierte Crux.

Der Unfug hat übrigens noch eine andere Pointe. Nach Auffassung der Bundesregierung ist jedes Landesamt für Verfassungsschutz befugt, selbst zu entscheiden, wen es beobachtet, verfolgt und als „gefährlich“ anzeigt. Nach dieser Lesart dürfte ein eifriger Verfassungsschützer aus Mecklenburg-Vorpommern sogar die dort wohnende Abgeordnete und derzeitige Bundeskanzlerin, Angela Merkel, observieren. Es ist also viel Unsinn im Spiel.

Aber noch mehr Grundsätzliches, das mit dem Grundgesetz eigentlich nicht vereinbar ist, nicht konform gehen kann. Deshalb klagt meine Fraktion DIE LINKE vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dabei geht es natürlich auch um DIE LINKE, aber bei Lichte betrachtet nur stellvertretend. Es geht um unverzichtbare Grundregeln der Demokratie. Sie werden permanent gefährdet, klammheimlich und scheinbar legal von so genannten Verfassungsschützern.
 

 

 

24.6.2007
www.petra-pau.de

 

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