Aktuelle Notiz: „Bitte verlassen Sie den Saal!“

von Petra Pau
Berlin, 12. Mai 2006

Mein erster offizieller Satz als Vize-Präsidentin bei einer Plenarsitzung, die ich zu leiten hatte, hieß: „Bitte verlassen Sie den Saal.“ Gemeint waren die Abgeordneten und meine Bitte war regelgerecht. Denn angesagt war ein „Hammelsprung“. Das ist ein selten vorkommendes Abstimmungsverfahren. Es wird angewandt, wenn andere Abstimmungen, etwa durch Handheben, keine klar erkennbaren Mehrheiten erbringen.

Praktisch bedeutet der „Hammelsprung“, dass alle Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und sobald die Abstimmung aufgerufen wird, durch eine von drei Türen in den Plenarsaal zurückkehren. Die eine Tür bedeutet „Ja“, die zweite „Nein“ und die dritte „Enthaltung“. Und da die Türen eng sind, müssen die Abgeordneten einzeln hindurchgehen. Und so können sie und ihre Voten einfach und sicher gezählt werden.

Meine Aufforderung „bitte verlassen Sie den Saal“ galt insbesondere der SPD-Fraktion. Denn deren Abgeordnete hatten es mitnichten eilig, im Gegenteil. Und auch das hatte seinen Grund. Vorangegangen war ein Antrag der Grünen, einen Bundesminister zur laufenden Plenardebatte herbei zu holen. Das ist ein durchaus üblicher Geschäftsordnungsantrag und immer eine gute Chance, der Regierungsmehrheit im Parlament eins auszuwischen.

Zumal: Die laufende Debatte war schlecht besucht. Von jeder Fraktion waren fünf (SPD und FDP) bis zwölf Abgeordnete (DIE LINKE) anwesend. Parallel tagten parlamentarische Ausschüsse. Aber wie auch immer: Die Chance der Opposition der Koalition eins auszuwischen schien groß, jedenfalls nach Ansicht der Grünen. Und sei es nur für eine kleine Schlagzeile danach: „Opposition überrumpelte Regierungsmehrheit!“

Das wollten die Unions- und die SPD-Fraktion natürlich vermeiden. Und so hatten die Geschäftsführer hinter den Kulissen alle Hände und Handys voll zu tun, so viele Abgeordnete aus den eigenen Reihen herbei zu holen, wie nur irgend möglich. Und damit dafür genügend Zeit bleibt, deshalb verzögerten die anwesenden SPD-Abgeordneten den Beginn des „Hammelsprungs“, indem sie betont lange im Saal blieben.

Die Unionsfraktion und die SPD schafften es schließlich, ihre nominelle Mehrheit auch real zu mobilisieren. Der zuständige Minister musste also nicht, wie von den Grünen beantragt, herbei zitiert werden. Aber sie hatten dennoch den allgemeinen Spott auf ihrer Seite. Denn ihr Fraktionsvorsitzender, Peter Struck, erschien in voller Motorrad-Montur zum „Hammelsprung“. Er war also vordem gerade sonst wo unterwegs, nur nicht im Bundestag.

Ich könnte mich freuen. Es war die erste Plenar-Sitzung, die ich als Vize-Präsidentin zu leiten hatte. Und es wurde eine bewegte und belebte. Das eigentliche Thema aber hieß: Dürfen führende Politiker in gut dotierte Wirtschafts-Posten flüchten, denen sie vordem erst den Weg bereitet haben? Zumindest wird dies Ex-Kanzler Schröder im Fall Gasprom unterstellt und nicht nur ihm. Es gibt weitere fragwürdige Fälle.

Bei den Zuschauern auf den Rängen überwog natürlich Kopfschütteln, zu Recht. Sie wurden leibhaftig Zeugen eines Trauerspiels. Es dauerte nur 20 Minuten, aber es waren 20 Minuten, in denen nichts geklärt, aber viel verspielt wurde. Allemal das Rest-Vertrauen, das allgemein noch dem Bundestag zugestanden wird. Die Zuschauer haben ein Schauspiel erlebt. Als Bürger hatten sie Politik gewählt. Die Differenz wächst.
 

 

 

12.5.2006
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite