Aktuelle Notiz: Bundestag, NPD, Versammlungsrecht;

von Petra Pau
Berlin, 11. März 2005

1. 

„Berliner Erklärung“
Seit die NPD mit fast 10 Prozent der abgegebenen Stimmen in den Sächsischen Landtag einzog und seit bekannt ist, dass die NPD am 8. Mai 2005 durchs Brandenburger Tor in Berlin marschieren will, seitdem ist der Rechtsextremismus - nach langer Pause - wieder ein Bundes-Thema.
 
Die PDS hat sich in zahlreichen Beratungen erneut mit dem Problem befasst. Unter anderem haben die innen- und rechtspolitischen Sprecher der PDS in den Landtagen, im Bundestag und im Parteivorstand eine „Berliner Erklärung“ veröffentlicht. Sie wurde von der BAG Antifaschismus und von der BAG Bürgerrechte unterstützt.
 
Die „Berliner Erklärung“ warnt vor Verbots-Schnellschlüssen. Sie fordert eine politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Tendenzen. Und sie plädiert für eine andere Politik in vielen Bereichen, in der Bildung, beim Sozialen, am Arbeitsmarkt, in den Medien und vielem mehr.
 

2. 

NPD-Verbot
Dieser wichtige und grundsätzliche Ansatz entlässt die PDS natürlich nicht aus der Frage: Wie haltet ihr es mit Verboten - aktuell mit dem Verbot der NPD und mit dem Verbot rechtsextremer Demonstrationen, insbesondere an historischen Orten und zu historischen Daten?
 
Eine ähnliche Kontroverse hatten wir in der Bundestagsfraktion, als es 2000 bis 2002 um das angestrebte Verbot der NPD ging. Es gab drei Meinungen: Die einen waren absolut dafür, die zweiten waren pragmatisch dafür, die dritten waren grundsätzlich dagegen.
 
Absolut dafür, weil Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen sei. Pragmatisch dafür, weil die NPD kein Parteien-Privileg genießen sollte. Grundsätzlich dagegen, weil Rechtsextremismus sich nicht verbieten lasse, ohne Bürgerrechte grundsätzlich zu beschneiden.
 

3. 

Geheimdienst-Dilemma
Ich gehörte damals zur zweiten Gruppe, mit sehr sensiblem Augenmerk auf die Argumente der dritten Gruppe. Die PDS-Fraktion hatte die Verbots-Klage des Bundestages gegen die NPD mitgetragen. Für die Interessen der PDS-Fraktion sprachen seinerzeit Ulla Jelpke und ich.
 
Das Verfahren scheiterte. Nicht am Bundesverfassungsgericht, sondern an einer Geheimdienst- und V-Mann-Praxis, die der NPD zuspielte und die Bundesinnenminister Otto Schily zu verantworten hat. So ganz nebenbei wurden damals übrigens auch die Fraktionen des Bundestages „kalt gestellt“ und aus Geheimhaltungsgründen aus dem Verfahren gedrängt.
 

4. 

Minister-Anträge
Nunmehr ging es um die Frage, wie Aufmärsche rechtsextremer Kameraden und der NPD verhindert werden können, insbesondere am 8. Mai 2005, dem 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, insbesondere am Holocaust-Denkmal und durchs Brandenburger Tor.
 
Den ersten Antrag in diesem Sinne legten Bundesinnenminister Otto Schily und die Bundesjustizministerin Zypries vor. Notiz am Rande: Er war nach übereinstimmender Meinung zahlreicher Rechtsexperten verfassungswidrig. Ich hatte den Antrag im Bundestag abgelehnt.
 
Er war zudem so allgemein formuliert, dass Verbote schon dann ausgesprochen werden sollten, wenn Demonstrationen dem außenpolitischen Ansehen der Bundesregierung schaden könnten. Das wäre ein massiver und gefährlicher Einschnitt in Grundrechte.
 

5. 

Experten-Meinung
Am 7. März 2005 fand eine parlamentarische Anhörung zu den inzwischen überarbeiteten Anträgen statt. Aber die Experten verwarfen auch die neuen Formulierungen. Die meisten verwiesen darauf, dass die ekelhaften, rechtsextremen Aufmärsche auch mit dem geltenden Recht verboten werden können. Außerdem gibt es erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der vorgeschlagenen Rechtsänderungen.
 
Danach überarbeiteten die CDU/CSU sowie SPD und Grüne ihre Anträge nochmals. Sie wurden so formuliert, dass sie nach Auffassung der Antragsteller nicht mehr mit dem Grundgesetz kollidieren. Ob das gelungen ist, kann nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
 
Sollte das Bundesverfassungsgericht angerufen werden und sollte es die neuen Paragrafen für rechtswidrig befinden, dann wäre das ein erneuter Sieg der NPD über den Rechtsstaat, es wäre eine weitere Blamable des Deutschen Bundestages. Dieses „sollte“ und „wäre“ ist aber Spekulation.
 

6. 

Drei Vorschläge
Am 11. März 2005 behandelte der Bundestag abschließend die beantragten Rechtsänderungen. Konkret ging es um drei Vorschläge. CDU und CSU wollten den befriedeten Bezirk rund um den Bundestag auf das Brandenburger Tor und das Holocaust-Denkmal ausdehnen.
 
SPD und Grüne wollten das Strafrecht schärfen, um die Würde der Opfer nationalsozialistischer Gewalt noch besser schützen zu können. Außerdem sollten die Länder befugt werden, Gedenkstätten von herausragender Bedeutung zu benennen, an denen rechtsextreme Aufmärsche leichter verboten werden können.
 
Ich habe für die PDS im Bundestag gesprochen, nachdem wir uns erneut mit den rechts- und innenpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der PDS konsultiert hatten. Wir haben schließlich alle drei Anträge abgelehnt - zwei aus Überzeugung, einen, weil das Verfahren nichts anderes zuließ.
 

7. 

PDS im Bundestag
Eine Ausweitung der „Bann-Meile“ auf das Brandenburger Tor haben wir abgelehnt. Erstens, weil die PDS „Bannmeilen“ grundsätzlich skeptisch beurteilt. Zweitens, weil „Bannmeilen“ die Arbeit des Parlaments schützen sollen und nicht andere Orte. Drittens, weil nicht nur Aufmärsche der NPD, sondern alle Demonstrationen am Brandenburger Tor damit unter einen Parlamentsvorbehalt fallen würden.
 
Ebenso haben wir abgelehnt, dass die Bundesländer Gedenkstätten von besonderer Bedeutung benennen. Denn dadurch würden zugleich Gedenkstätten minderer Bedeutung definiert und mithin Opfer erster und zweiter Klasse. Das widerspricht der Würde der Opfer und das wird in der Praxis zu einem unwürdigen Auswahl-Verfahren führen.
 
Das Strafrecht sollte um folgenden Absatz erweitert: „Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“
  Dieser Strafrechtsänderung hätten wir zugestimmt, wenn der Punkt einzeln aufgerufen worden wäre. Ich hatte vorab und in meiner Rede darum gebeten. Aber die rot-grüne Koalition, also SPD und Bündnis 90/Die Grünen, war dazu nicht bereit.
 

8. 

Beschluss und Ausblick
Die von der CDU/CSU geforderte Ausweitung der „Bannmeile“ wurde mit den Stimmen aller anderen Parteien abgelehnt. Die Strafrechtsverschärfung und die Auswahl besonderer Gedenkstätten wurden mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD sowie der CDU/CSU beschlossen.
 
In der Debatte wurde zudem deutlich: Insbesondere die CDU/CSU, namentlich Bayerns Innenminister Beckstein, streben eine weitergehende Änderung des Versammlungsrechtes an. Es dürfe nicht nur vor Rechtsextremisten schützen, so seine Forderung, es müsse vielmehr gegen Extremisten aller Art ausgelegt werden. Er kündigte entsprechende parlamentarische Initiativen an.
  Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen) wiederum verstieg sich in seinem Beitrag zu der Behauptung: Wer, wie die PDS, antifaschistisch sein wolle, der müsse dem Koalitions-Antrag selbstverständlich auch zustimmen. Ich habe mich in meiner Rede gegen diese unverschämte Anmaßung verwahrt.
 

 

 

11.3.2005
www.petra-pau.de

 

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