Aktuelle Notiz: Feiern zu Magdeburg

von Petra Pau
Berlin, 3. Oktober 2003

1. Es wurde gefeiert, höchst-offiziell, wie alle Jahre seit 1990. Austragungsort ist stets das Land, das gerade den Vorsitz im Bundesrat innehat, also diesmal Sachsen-Anhalt. Danach wunderte sich im Fernsehen ein französischer Journalist: „Warum wird nur dort gefeiert und nicht überall im Lande?“ Tja, warum wohl?

2. Gesine Lötzsch und ich, wir waren für die PDS in Magdeburg dabei. Die offiziellen Ansprachen waren gleichlahmig. Die bundesdeutsche Prominenz würdigte die Einheit, sie pries Fortschritte und sie verwies auf Probleme. Allerweltsreden. Anschließend öffnete der Himmel seine Schleusen. Er hätte es auch so getan.

3. Manfred Stolpe hatte einen großen Schirm zur Hand. Er lud uns drunter. Das bot Schutz und Stoff für Medien. Stolpe als Schirmherr für die PDS? So ähnlich beschrieb eine Berliner Zeitung die Episode. Der ORB sah das gebotene Bild umgekehrt: Ohne PDS stände der Ost-Minister nass im West-Regen. Stimmt bestimmt, aber diesmal hielten politische Kontrahenten einfach mal zusammen, aus menschlichen Gründen.

4. Imre Kertesz ist Nobelpreisträger für Literatur. Er gab die Ausnahme von der Fest-Regel, er sprach Tacheles. Mit Blick auf die EU, indem er die Arroganz der alten Länder gegenüber den Neuen kritisierte. Mit Blick auf die Welt, indem er das deutsche Nein zum US-Krieg gegen den Irak monierte. Ungarn ist noch immer eine Reise wert und für Widerspruch gut.

5. Allemal spannend waren die Reaktionen darauf. SPD-Politiker verschluckten die Anwürfe zur EU. CDU-Politiker wollten zum Krieg klatschten. Und draußen harrte Alt-Rocker Lindenberg mit dem geklauten Motto: „Powern statt Mauern!“ Auch er war schon mal besser drauf, früher. Aber das fiel nicht auf im allgemeinen Mittelmaß.

6. Die PDS nahm eine ausgesetzte Tradition wieder auf und lud zum Einheiz-Markt nach Berlin. Die „Berliner Zeitung“ ließ ganze 500 Teilnehmer zählen, die allesamt auf Ostalgie-Trip gewesen seien. Die PISA-Macke hat die Redaktionsstuben erfasst, auch in der Hauptstadt. Denn es waren Tausende, nebst Ständen aus Bremen, Bayern, Hessen. Aber die offenbarte PDS-Ignoranz ist nicht neu im Verlagshaus.

7. Nebenbei tobte rund um den Einheitsbrei ein Medien-Quiz. „Wie hieß der erste Generalsekretär der SED?“, fragte BILD seine Leserschaft. Gute Frage, dachte ich und kreuzte im Internet „Erich Honecker“ an. „Falsch“, wurde ich belehrt, das sei Walter Ulbricht gewesen. Der aber war nie „Generalsekretär“. Ossis erinnern sich zuweilen besser, aber gewinnen können sie damit noch nichts.

8. Auch die „Berliner Morgenpost“ konnte nicht über ihren langen Schatten springen. Sie wollte wissen, welcher Feiertag wegfiel, seitdem der 3. Oktober ein solcher wurde. Die erbetene Antwort hieß: der „17. Juni“. Da staunt das Ossis, denn es hatte diesen Frei-Tag nie. Wer weiß, ob sich wenigstens das Wessi erinnert?

9. Magdeburg bietet noch an eine andere Geschichte. Bei ihr kam wirklich zusammen, was zusammen gefügt wurde. Hier kreierte Otto von Guericke nämlich dereinst die berühmten Halbkugeln. Die hielten zueinander, weil sie innen hohl und ganz leer waren. Das war ein innovativer Sieg der Physik. Aber als Beispiel für die Politik ist er untauglich. Vielleicht sollte man darüber reden - am Tag der Einheit und überhaupt.
 

 

 

9.10.2003
www.petra-pau.de

 

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