Aktuelle Notiz: Berliner Abschiebung in den Kongo

von Petra Pau
Berlin, 2. September 2003

1. 

Raphael Batoba lebte elf Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. Er war Asylsuchender. Es wurde ihm nicht verwährt. Am vergangenen Wochenende wurde er von Berlin aus in den Kongo abgeschoben. Ich habe dies in einer Presseerklärung als „unglaublich“ und „widerwärtig“ bezeichnet. Das ist es auch - ohne Wenn und Aber.

2. 

Die PDS ist grundsätzlich gegen Abschiebungen. Der aktuelle Fall aber ist zusätzlich unsäglich. Im Kongo toben Bürgerkriege. Die Opfer werden mit Hunderttausenden, ja Millionen beziffert. Noch im Juni diskutierte der Bundestag darüber, ob Bundeswehr-Kräfte in den Kongo geschickt werden sollten - aus „humantitären Erwägungen“. Nun wurde ein Asylsuchender - aus „rechtlichen Erwägungen“ - in den Kongo abgeschoben.

3. 

Im Juli war der erste Abschiebeversuch gescheitert. Batoba wehrte sich, das Flugzeug zu besteigen. Der KLM-Pilot weigerte sich, den Passagier-wider-Willen zu befördern. Ich fuhr damals zum Flughafen Tegel, ebenso Volker Ratzmann von den Berliner Grünen und eine Aktivistin vom Flüchtlingsrat. Wir protestierten gemeinsam gegen die Abschiebung, wir waren erleichtert, als sie nicht stattfand, und wir hofften auf politische Vernunft. Vergebens, wie sich nun zeigt.

4. 

Derweil entwickelte sich im Internet-Forum der PDS eine ganz andere Debatte. Die Kernfrage hieß: Duldet die Berliner PDS die Abschiebung oder setzt sie sich gegen die Berliner SPD durch, notfalls durch Kündigung der rot-roten Koalition. Eine zentrale These im Forum: Die Berliner PDS nimmt selbst Mord in Kauf, um an der Macht zu bleiben.

5. 

Die Berliner PDS, allemal Karin Hopfmann und Udo Wolf, mühten sich derweil um praktikable Lösungen für Raphael Batoba. Sie suchten nicht die vordergründige Machtprobe gegen die Berliner SPD. Und es zeichnete sich ein Ausweg ab. Er führte nach Frankreich, wo Verwandte von Batoba leben. Diese hätten amtlich bestätigen müssen, dass sie Raphael aufnehmen. Ob sie dazu bereit waren, blieb offen. Die Berliner Innenverwaltung schob ihn vor der endgültigen Klärung ab.

6. 

Nun werden Erklärungen verbreitet und Vorwürfe ausgetauscht. Berlins Innensenator Körting (SPD) verweist auf das Bundesrecht, das auf seiner Seite sei. Volker Ratzmann (Bündnis 90/Die Grünen) beklagt den Berliner Senat, der ohne Not abgeschoben hat. Karin Hopfmann (PDS) ist sauer, menschlich und politisch. Ich suche nach dem Schlüssel, wie ähnliche Fälle zu verhindern sind.

7. 

Im PDS-Forum wird indes erneut die „Grund“-Frage gestellt. Entweder die Berliner PDS kündigt die Koalition auf oder sie ist mitschuldig an der Abschiebung, allemal, wenn Raphael Batoba im Kongo ums Leben kommen sollte. Ich halte das für falsch, unpolitisch und naiv. Immer, wenn eine Sachfrage zur Machtfrage erhoben wird, lauert die Tücke.

8. 

Nach allem, was ich weiß, wurde der Fall Batoba innerhalb der SPD, auch zwischen Bund und Berlin, als Machtfrage behandelt. „Bist du mit Schily oder bist du mit der PDS?“ So simpel hieß zuweilen der Zwist in der Innenverwaltung. Die ist SPD-, vor allem aber über viele Jahre hinweg CDU-geprägt. Der behörden-interne Streit wurde zu Lasten von Batoba entschieden. Gelöst wurde er nicht. Er schwelt weiter, egal, ob es sich um die Polizeitaktik am 1. Mai handelt oder um die Verschärfung der inneren Sicherheit zu Lasten von Bürgerrechten. Der libertäre Anspruch, auf den sich die rot-rote Berliner Koalition innenpolitisch geeinigt hat, ist gut. Ihn umzusetzen, ist irdischer, schwieriger.

9. 

Auch deshalb finde ich: Wer vor diesem Hintergrund fordert, die Berliner PDS möge sich flugs aus der Koalition zurückziehen und wieder „ehrlich opponieren“, der sollte zumindest ansatzweise begründen, wo die Erfolgsaussichten einer solchen Strategie liegen: im Machtbereich oder im Sachbereich? Wäre ein PDS-Rückzug ein gesellschaftliches Fanal zum Besseren, ich würde ihn sofort befördern. Folgte er nur einer innerparteilichen Selbstbefriedigung, ich lehnte ihn ab.

10. 

Das Grundübel ist eine gesellschaftliche Stimmung, die es Hardlinern wie Beckstein (CSU) und Schily (SPD) erleichtert, ihre law-and-order-Politik zu forcieren - gegen Menschen in Not, aber auch gegen die innere Verfasstheit der Bundesrepublik. Und umgekehrt! Dagegen engagiere ich mich. Das ist aber etwas anderes, als den Hauptfeind in den eigenen Reihen zu suchen. Es ist auch etwas anderes, als die Ausflucht der Berliner Grünen. Sie zeigen auf den SPD-Innensenator - zu Recht - und verschweigen zugleich, dass die eigene Partei auf Bundesebene die verheerenden Abschiebe-Vorgaben setzt.
 

 

 

2.9.2003
www.petra-pau.de

 

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