8. Mai 2015 - 70 Jahre Befreiung vom Faschismus

Rede von Petra Pau in der Gedenkstätte Seelower Höhen
8. Mai 2015

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1. 

Vor wenigen Wochen, am 31. Januar 2015, starb Richard von Weizsäcker.
Viele sprachen mit großer Hochachtung von ihm.
Insbesondere seine Rede vom 8. Mai 1985 wurde hervorgehoben.
 
Damals hatte er als Bundespräsident im Deutschen Bundestag etwas gesagt, was in der Bundesrepublik Deutschland (alt) lange als unaussprechlich galt:
 
„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.
Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
 
Ja, und deshalb wird es höchste Zeit, finde ich, dass der 8. Mai endlich ein offizieller Gedenktag wird.

2. 

Stefan Doernberg war Deutscher, Jude und Kommunist.
Als junger Mann hatte er in den Reihen der Roten Armee gegen das mörderische Nazi-Regime gekämpft.
 
Kurz vor seinem Tod 2010 hatte er noch ein Interview gegeben. Darin erinnerte Stefan Doernberg an den 2. Weltkrieg, der von Deutschland ausging und 50 Millionen Menschen ums Leben brachte, die meisten in der Sowjetunion. Und er beschrieb, was aus seiner Sicht das Wesentliche an dem Sieg über den Faschismus war.
 
Natürlich ging es um Krieg oder Frieden. Aber, so Stefan Doernberg, der 2. Weltkrieg wurde um viel mehr geführt. Nämlich um die Frage, ob es in der Menschheit künftig noch so etwas wie Zivilisation geben wird oder ob eine faschistische Diktatur alles Menschliche zerschlägt.
 
Das war die Dimension, um die es damals ging. Ergo gebührt allen, die an dieser Befreiung vom Faschismus und an der Chance auf Zivilisation beteiligt waren, allzeit Dank!
 
Natürlich den Völkern der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und Frankreich, also den vier Alliierten, aber auch Polen und Kämpfern weiterer Länder, die an der Befreiung Europas beteiligt waren.

3. 

Zurück zu Richard von Weizsäcker:
Ich hätte mir gewünscht, seine Rede von 1985, dem 40. Jahrestag der Befreiung, wäre 2015 weniger erwähnt und stattdessen besser gelesen worden - gerade auch unter aktuellen Gesichtspunkten.
 
Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland hatte damals ausdrücklich gewürdigt, dass sich kurz zuvor in Torgau an der Elbe Angehörige der Sowjetarmee und der USA-Armee getroffen hatten, um an den gemeinsamen Sieg über den Faschismus zu erinnern.
Wohl bemerkt: Das war zu Zeiten des „kalten Krieges“!

4. 

Auch diese Passage ist aus von Weizsäckers Rede vor 30 Jahren:
 
„Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft.
 
Wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden.
 
Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglichen vielen Bürger der Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben verloren.
 
Als Deutsche gedenken wir in Trauer der eigenen Landsleute, die als Soldaten, bei den Fliegerangriffen in der Heimat, in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind.
 
Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugungen sterben mussten.
 
Wir gedenken der erschossenen Geiseln. Wir denken an die Opfer des Widerstandes in allen von uns besetzten Staaten.
 
Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und des glaubensbegründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten.
 
Wir gedenken derer, die nicht aktiv Widerstand leisteten, aber eher den Tod hinnahmen, als ihr Gewissen zu beugen ...“
 
Soweit alles original aus der Rede Richard von Weizsäckers.

5. 

Auch diese Passage sei zitiert:
 
„Es gab alsbald“
- also nach dem 8. Mai 1945 - nun wieder wörtlich -
„auch große Zeichen der Hilfsbereitschaft. Viele Millionen Flüchtlinge und Vertriebene wurden aufgenommen. Im Laufe der Jahre konnten sie neue Wurzeln schlagen. Ihre Kinder und Enkel bleiben auf vielfache Weise der Kultur und der Liebe zur Heimat ihrer Vorfahren verbunden. Das ist gut so, denn das ist ein wertvoller Schatz in ihrem Leben.“
 
Das einschränkende „auch“ vor der „Hilfsbereitschaft“ sollte nicht überhört werden. Aber man stelle sich nur kurz vor, was ein solches Plädoyer - dafür, Flüchtlingen zu helfen, dagegen, einer nationalistischen Leitkultur zu huldigen, - heute bei PEGIDA & Co. auslösen würde.
 
Nein, Richard von Weizsäcker hatte nicht über die Vergangenheit gesprochen, jedenfalls nicht nur.
Er hatte wohl auch Sorgen mit Blick auf die Zukunft.

6. 

Richard von Weizsäcker schloss seine Rede seinerzeit mit einer mahnenden Bitte, allemal an junge Menschen:
Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass
gegen andere Menschen,
gegen Russen oder Amerikaner,
gegen Juden oder Türken,
gegen Alternative oder Konservative,
gegen Schwarz oder Weiß.
Lernen Sie miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
 
Heute, 2015, lese und erlebe ich anderes:
Es gibt kein alliiertes Gedenken. Das Gegeneinander nimmt zu.
Auch Deutschland fällt hinter frühere Erkenntnisse zurück.
Antisemitismus und Islamophobie werden hierzulande unverhohlener geschürt, Fremdenfeindlichkeit demonstriert.
Medien zündeln Hass gegen Flüchtlinge oder Griechen, gepaart mit deutsch-nationaler Überheblichkeit.
Der Präsident Griechenlands wird zum EU-Spalter erklärt, weil er zu Gesprächen nach Moskau reist.
Und wer Russland auch nur verstehen will, gerät in den Ruch des Vaterlandsverräters.
 
Und das alles im Vorfeld des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus. Ich habe von Weizsäckers historische Rede anders gelesen und anders verstanden. Sie war - aus meiner Sicht - eines Bundespräsidenten würdig. Auch deshalb habe ich hier an sie erinnert.
 

 

 

8.5.2015
www.petra-pau.de

 

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