Aktuelle Notiz: Das Sarrazin-Panoptikum

von Petra Pau
Berlin, 5. September 2010

1. 

Thilo Sarrazin war schon immer für Außergewöhnliches gut. Als Bonner Ministerial-Referent wollte er in den 1970er Jahren West-Berlin an die DDR verkaufen. Später half er als „Treuhand“-Anstalts-Gehilfe, die Hinterlassenschaften der DDR an den Westen zu verhökern.

2. 

85 Prozent des einstigen Volkseigentums der DDR ist seither Privat-Besitz in westdeutschen Händen. Acht Prozent konnten ausländische Unternehmen ergattern. Ganze sieben Prozent blieben bei Ost-Deutschen. Gab es - in Friedenszeiten - je eine größere Enteignung?

3. 

Thilo Sarrazin hatte vielerorts seine Hände im Spiel. Und es wurde ihm stets honoriert. Trotzdem oder deshalb galt er als Vorzeige-Genosse der SPD mit Posten-Garantie. Zuletzt bei der Bundesbank. Damit soll es nun vorbei sein, mit der SPD-Mitgliedschaft und mit dem Banker-Privileg.

4. 

Seit Wochen bestimmt der Fall „Sarrazin“ unentwegt die Medien. Alle Talkshows liefen um die Wette, wer Thilo Sarrazin als erstes vor die Kamera bekommt. Namhafte Medien rühmten sich mit Vorabdrucken seines Buches „Deutschland schafft sich ab“, nicht nur BILD.

5. 

Politiker aller Parteien empörten sich wie auf Bestellung, auch DIE LINKE, selbst die CDU. Alle möglichen Sender starteten Umfragen Pro oder Kontra Sarrazin. Und siehe da: Die einen sagen so, die anderen sagen so. Morgens Sarrazin, mittags Sarrazin, abends Sarrazin, täglich Sarrazin.

6. 

Und Sarrazin frohlockt. Und sein Verlag. Und die Bertelsmann AG. So viel Werbung war nie und die Auflage steigt und steigt und steigt. Weder bei „Beckmann“ noch bei „Will“ wurden die Bertelsmann-Chefs je gefragt, warum sie aus rassistischen Parolen klingende Münze schlagen.

7. 

Und aus welchem Behufe zerrten alle TV-Anstalten Sarrazin in ihre Studios? Weil sie sich der Aufklärung und der Demokratie verpflichtet fühlen? Pustekuchen! Weil Sarrazin ihnen Einschalt-Quoten versprach! So wusch eine Hand die andere, nur: sauber wurden sie dabei alle nicht.

8. 

Dann das! Der neue Slogan heißt: Steinigt Sarrazin! Wofür? Er sei ein hemmungsloser Provokateur. Schon vor Jahresfrist habe er „Hartz-IV“-Empfänger beleidigt, klagen SPD-Politiker. Stimmt Aber wer hat eigentlich „Hartz-IV“ beschlossen und damit Massenarmut befördert?

9. 

Juden hätten eigene Gene. Außerdem sei Dummheit und Faulheit vererbbar, legte Sarrazin nach. Das empörte selbst Roland Koch. Noch vor kurzen ließ Koch „:Deutsche“ gegen Ausländer unterschreiben. Und er bemühte „jüdische Vermächtnisse“, um CDU-Schwarzgeld zu waschen.

10. 

Der vorläufige Höhepunkt des Sarrazin-Panoptikums: Bundespräsident Christian Wulff ermutigt die Bundesbank, den nahezu unkündbaren Sarrazin von ihm entlassen zu lassen. Der gute Ruf der Bundesbank stehe auf dem Spiel, heißt es. Mal ganz vorsichtig gefragt: Welcher gute Ruf?

11. 

Die Banken haben erst vor Monaten weltweit eine Krise verursacht, deren Folgen noch immer nicht absehbar sind. Hunderte Milliarden Steuergelder wurden ihnen daraufhin in den Schlund geworfen. Was mit Sarrazins „unnützen Kopftuch-Muslimen“ übrigens nichts zu tun hatte.

12. 

Ob Sarrazin in der SPD bleibt, ist nicht mein Ding. Ob die Bundesbank Sarrazin feuert, ist genauso drittrangig. Zu beobachten war in den letzten Wochen allerdings: Da, wo Sarrazin der Spiegel hingehalten wurde, guckte die deutsche Gesellschaft heraus: kenntlich und verlogen.
 

 

 

5.9.2010
www.petra-pau.de

 

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