Hinfallen und Weiterkämpfen

Interview mit Petra Pau in „Marzahn-Hellersdorf links“, Dezember 2008
7. Dezember 2008

Du hast den Bundestag aus drei Sichten kennengelernt, als Neuling in einer PDS-Fraktion, mit Gesine Lötzsch als Einzelkämpferin und nun sogar als Vizepräsidentin des Bundestages. Was unterscheidet die Perspektiven?

Meine erste Wahl 1998 gegen Konkurrenten wie Wolfgang Thierse (SPD) war eine Überraschung. Die Zeit allein mit Gesine Lötzsch 2002 bis 2005 haben wir am Rande der Überforderung, aber trotzdem wohl souverän gemeistert. Die Erfahrung mit der Fraktion DIE LINKE ist noch einmal etwas völlig Neues.

Inwiefern?

Was ich in Wahlkämpfen versprochen hatte, dafür habe ich politisch stets gekämpft. Aber im Bundestag war das zumeist folgenlos. Das hat sich mit der Fraktion DIE LINKE nach der Wahl 2005 geändert.

Ihr seid Opposition und Opposition, meint SPD-Chef Münterfering, sei Scheiße.

Auch Regierung kann Schiet sein, allemal, wenn sie gegen den Willen einer Bevölkerungsmehrheit agiert. Und das passiert in der Bundespolitik seit langem. Stichworte: Hatz IV, Gesundheitsreform, Kriegseinsätze der Bundeswehr. Bei alledem sind Zweidrittel der Bevölkerung dagegen und bei alledem waren Zweidrittel des Bundestages dafür.

Wieso „waren“, sind sie es nicht mehr?

DIE LINKE hat zumindest eines geschafft: Sie hat den scheinbar monolithischen Block der All-Fraktionen-Koalition zum Tanzen gebracht.

Bitte konkreter ...

... als Gesine Lötzsch und ich Mindestlöhne gefordert hatten, wurde wir ausgelacht. Heute tut die SPD so, als sei sie die Erfinderin der Mindestlöhne. Wir hatten immer wieder gedrängt, dass die Ost-Lebens-Verhältnisse endlich an den Westen angeglichen werden. Heute geriert sich die FDP als Anwalt der Ost-Rentner. Wir hatten Hartz IV grundsätzlich abgelehnt und zumindest eine Anhebung der ALG-II-Sätze beantragt. Heute finden die Grünen, dass man von 340 Euro-plus nicht würdig leben könne. Wir hatten kritisiert, dass die Abschaffung der Pendlerpauschale unlogisch und unsozial ist. Ausgerechnet die CSU hatte das nun zu ihrem Wahlkampfschlager gemacht. Und so erleben wir plötzlich: Wo CDU/CSU/FDP/SPD/Grüne draufsteht, ist plötzlich klammheimlich so manches Linke drin. Das ist nicht genug, aber das ist neu. Wobei: Ohne eine starke LINKE wäre das alles undenkbar.

Wie in Hessen, wo trotzdem alles im politischen Chaos endet?

Vielleicht, aber das hat nicht DIE LINKE verschuldet. Die SPD war uneins und hat so ein linkes Projekt scheitern lassen.

Also ziehst Du wieder in den West-Wahlkampf?

2009 wird ein Super-Wahljahr. Und ich wette: Danach werden viele Karten neu gemischt. Noch glauben viele, allemal im Westen, man werde die Linke mit dümmlichen Kampagnen wieder los. Aber DIE LINKE ist keine Lafontaine-Gysi-Erfindung, sondern ein Kind der gesellschaftlichen Miss-Verhältnisse.

Wie nah ist dir bei alledem noch die Landespolitik?

Nicht nur die, auch die Bezirkspolitik bewegt mich weiterhin. Allein in meinen monatlichen Bürgersprechstunden werde ich hautnah mit dem wahren Leben pur konfrontiert. Und wo ich helfen kann, tue ich das natürlich. Egal, ob es um Probleme mit dem Gesundheitssystem geht, um die Anerkennung von Berufsabschlüssen oder um Schornsteinfeger-Konflikte im Siedlungsgebiet. Im Wahlkreis muss man Allround-Politikerin sein und immer ansprechbar.

Das ist schaffbar?

Nur im engen Zusammenwirken mit unseren Bezirks- und Landespolitikern.

Und im Bundestag?

Dort habe ich als Pro-Themen Bürgerrechte und Demokratie und als Kontra-Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.

Diese Demokratie ist keine Demokratie, sagt Peter Sodann, euer Kandidat für das Bundespräsidentenamt

Sie kriselt aus verschiedenen Gründen und das ist ein Einfallstor für rechtsextreme Kameraden mit ihren menschenfeindlichen Parolen. Meine Forderung dagegen lautet: mehr Demokratie wagen, mehr direkte Demokratie. Dafür hat DIE LINKE in Berlin übrigens vieles bewegt, während Deutschland auf Bundesebene bei alledem noch immer ein EU-Entwicklungsland ist.

Und wie stehst Du zu Peter Sodann?

Wir duzen uns, seit er neulich in meiner Veranstaltungsreihe „Einer trage des anderen Last“ in Hellersdorf war. Ansonsten wirbelt er viel politischen Staub auf und das kann nur gut sein.

Neulich hörte ich, Du hast ein Haus im Grunewald?

Ich wohne nach wie vor in Hellersdorf, Grüne Mitte, Genossenschaft, sanierte Platte, fünfte Etage, ohne Fahrstuhl, aber mit Balkon und Blick auf das Wuhletal und den Kienberg.

Meiner Frage nach Deiner Perspektive als Bundestags-Vizepräsidentin bist Du ausgewichen. Hat sie dich verändert?

Das Amt ist eine neue Herausforderung. Ich demonstriere auf der Straße gegen einen drohenden Überwachungsstaat und ich spreche auf internationalen Konferenzen als Repräsentantin der Bundesrepublik. Das ist oft eine Gratwanderung, bei der ich mich aber weder so noch so verbiege. Nicht in Japan oder China, nicht in der Ukraine oder Polen, nicht in den USA, Israel oder Frankreich. Mein Herz schlägt links, mein Verstand tickt ebenso und das wissen meine diplomatischen Partner auch.

Vorletztes Stichwort: Welt-Finanz-Krise

Schlimm und Ausfluss der grundsätzlichen Amoral des herrschenden Kapitalismus. Geld regiert die Welt - und das stürzt sie in unmenschlichte Tiefen. Das hatte schon Karl Marx analysiert und prophezeit. Umso wichtiger ist: Das Kapital dar nicht länger über die Politik bestimmen. Und die Politik muss endlich wieder die Banken dominieren.

Eine schön klingende Utopie ...

... aber plötzlich in aller Munde. Übrigens: Als es vor zwei Jahren um die Gründung der Partei DIE LINKE ging, da wollten etliche WASGler den „Demokratische Sozialismus“ aus dem Programm streichen. Ich habe damals gesagt; „Ihr spinnt wohl!“ Ihr raubt der Linkspartei die Seele und ihr nehmt uns allen die Zukunft.

Er bleibt trotzdem eine Illusion, oder?

Die Armen werden immer zahlreicher und die Reichen immer reicher, weltweit. Das ist furchtbar, aber kein Naturgesetz, sondern Folge einer bestimmten Politik. SPD und CDU haben sie forciert. Getreu dem Motto: „Der Markt ist unser Gott!“ Das ist dümmlicher Götzen-Kult. Er kommt uns alle teuer zu stehen.

Bist Du eine Optimistin?

Vielleicht. Als Jugendliche war ich Judoka. Und da lernt man zuerst Zweierlei: Hinfallen und Weiterkämpfen.

Fragen: Rainer Brandt

 

 

7.12.2008
www.petra-pau.de

 

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