Montags-Demo in Weißenfels

Rede von Petra Pau am 4. Dezember 2006 in Weißenfels

0. 

Montags-Demos
Vor Wochen bin ich in Berlin gefragt worden: „Petra, warum kommst Du nicht mal nach Weißenfels auf unsere Montags-Demo?“ Ich hatte geantwortet: „Kein Problem, sobald ich es einrichten kann, komme zu Euch.“ Und heute bin ich hier, um dieses Versprechen auch einzulösen.

1. 

Die Montags-Demos gingen ja von Sachsen-Anhalt aus und in ihrer Hoch-Zeit fanden sie bundesweit starken Zulauf aus Protest gegen Hartz IV. Ihr gehört zu jenen, die den Protest nicht eingestellt haben. Das ist gut so, denn Hartz IV war falsch und Hartz ist falsch. Darum sind wir hier.

2. 

Reformen
Als LINKE sage ich aber auch: Es reicht nicht zu sagen: „Hartz IV muss weg!“ Wir brauchen politische Alternativen zur unsozialen Politik der großen Koalition von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen. Alternativen, die klar, verständlich und machbar sind, also wirkliche Reformen.

3. 

Früher sprach man von Reformen, wenn ein Problem zum Besseren gelöst wurde. Heute bedeutet Reform: Die Reichen werden entlastet und die Armen zahlen die Zeche. Das ist ein Unding. Ich habe ein anderes Verständnis von Reformen. Darüber will ich sprechen.

4. 

Reformen sind für mich immer mit sozialer Gerechtigkeit und mit der Würde des Menschen verbunden, aller Menschen, unabhängig von ihrem Geldbeutel und ihrer Herkunft. Denn wer anfängt, Einzelne zu erniedrigen, erniedrigt zum Schluss alle. Das hatten wir schon mal.

5. 

Alternativen
Und wir haben konkrete Alternativen zur herrschenden Politik. Eine, wenn auch kleine, wurde übrigens schon umgesetzt. Wir haben immer gesagt: Wer beschließt, dass Ost-Arbeitslose weniger Geld bekommen als West-Arbeitslose, der hat die Mauer noch immer im Kopf.

6. 

Erst wurden wir ignoriert, später verlacht und dann kamen die Bundestagswahlen. Alle Mauer-im-Kopf-Parteien verloren, die LINKE wurde gestärkt. Deshalb wurde das ALG II-Ost auf West-Niveau angehoben. Das war nicht viel, aber immerhin mehr als nichts.

7. 

Mindestlohn
Vor den Wahlen haben wir einen gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro je Stunde gefordert. Das ruiniere den Standort und die Wirtschaft, wurde uns gesagt. Außerdem kämen dann die Polen mit ihren Billig-Löhnen und „unsere“ Arbeiterinnen und Arbeiter guckten in die Röhre.

8. 

Dreifach-Irrtum, haben wir gesagt: Erstens müssten auch die Polen 8 Euro bekommen. Zweitens: Von Arbeit muss man leben können, Friseusen oder Wachleute mit 4 oder 5 Euro können das nicht. Und Drittens: Höhere Löhne schaffen Arbeitsplätze. Wir wurden im Bundestag für irre erklärt.

9. 

Dabei liegt es auf der Hand: Mehr Lohn bedeutet mehr Kaufkraft, mehr Kaufkraft bedeutet mehr Nachfrage, mehr Nachfrage bedeutet mehr Beschäftigung, mehr Beschäftigung bedeutet weniger Arbeitslose und weniger Arbeitslose bedeuten weniger Soziallasten und mehr Beiträge.

10. 

Wir haben das im Bundestag vertreten und eine bundesweite Kampagne begonnen. Inzwischen ziehen die Gewerkschaften mit, die SPD spricht sich dafür aus und selbst die CDU denkt darüber nach. Und deshalb meine Bitte: Unterstützen sie die Mindestlohn-Kampagne weiterhin kräftig!

11. 

Wir müssen die Spirale nach unten endlich durchbrechen. 16 Jahre lang wurde Verzicht gepredigt und 16 Jahre lang wurde Sozialabbau betrieben. Deutschland ist das einzige entwickelte Land mit abnehmenden Löhnen. Das ist unsozial und das ist ökonomisch unsinnig. Also Schluss damit.

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Ackermann & Co.
Ich habe damals, am 19. September 2003, gegen Hartz IV gestimmt. Und ich bin noch immer dagegen und zwar nicht nur weil es ungerecht ist. So ungerecht, wie die Einstellung des Verfahrens gegen Ackermann & Co, die wir vorige Woche erlebt haben - ein Stück aus dem Tollhaus.

13. 

Juristisch mag das ja alles gedeckt sein. Aber was heißt das politisch? „Im Namen des Volkes: Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen!“ Das ist die Botschaft. Und deshalb sage ich ganz klar: In meinem Namen hat das Gericht nicht geurteilt und in ihrem sicher auch nicht!

14. 

Das Gegenstück dazu war übrigens „Florida-Rolf“. Das war ein Bundesbürger, der mit seiner Sozialhilfe im Süden der USA lebte. BILD machte daraus einen Skandal. Die Bundesregierung machte flugs ein Gesetz. Florida-Rolf musste umgehend zurück nach Deutschland.

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Warum diese Neidkampagne, warum diese Hektik? Ich sage: Hätten sie Florida-Rolf im Süden gelassen, dann hätten die Sozialämter sogar noch Heizkosten gespart. Aber es ging nicht um Florida-Rolf. Das war die Vorbereitung einer allgemeinen Sozial-Missbrauchs-Debatte.

16. 

Grundsicherung
Und damit bin ich wieder bei Hartz IV. Wer je einen ALG-II-Antrag gelesen hat, weiß, wovon ich spreche. Denn Antragsteller müssen 150 bis 180 persönliche Daten über sich und ihr Umfeld Preis gegeben. Das würden Ackermann & Co nie tun, brauchen sie auch nicht.

17. 

Mit anderen Worten: Wer arm dran ist, wird auch noch seiner verbrieften Bürgerrechte beraubt. Datenschutz gilt nur noch für die Reichen und Schönen. Nicht nur der Sozialstaat wird abgebaut, auch der Rechtsstaat wird demontiert. Und auch dagegen protestieren wir!

18. 

Und wieder heißt die Frage: Gibt es Alternativen? Ja, es gibt sie. DIE LINKE plädiert für eine soziale Grundsicherung ohne Repressionen, die ein Leben in Würde gestattet. Wieder so ein Thema, für das wir vor den Bundestagswahlen ignoriert oder verlacht wurden.

19. 

Inzwischen spricht die SPD wieder darüber. Die GRÜNEN haben sich auf ihrem Parteitag am Wochenende für eine Grundsicherung ausgesprochen. Und selbst Unternehmer denken darüber nach - aus Sorge um den sozialen Frieden. Lassen wir also nicht nach. Es lohnt sich!

20. 

Öffentlicher Beschäftigungs-Sektor
Gesetzlicher Mindestlohn und eine soziale Grundsicherung sind zwei linke Alternativen gegen die Agenda- und Basta-Politik der alten und neuen Bundesregierung. Ein öffentlicher Beschäftigungssektor ist eine dritte Alternative. Sie ist im rot-roten Berlin nunmehr Regierungs-Politik.

21. 

Die Idee ist alt und einfach. Der freie Markt wird keine Vollbeschäftigung mehr bringen. Wer es dennoch behauptet, lügt. Also brauchen wir neue Modelle. Der öffentliche Beschäftigungs-Sektor ist so ein Modell. Er speist Arbeitslose nicht ab und er zielt nicht auf Profit.

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Berlins Wirtschaftsenator Harald Wolf hat ausgerechnet: Wenn man alles Geld zusammen nimmt, das derzeit in flüchtige 1-Euro-Jobs fließt, dann könnte man damit auch auskömmliche und sozial-versicherte Arbeitsplätze für gemeinnützige Arbeit von Dauer schaffen.

23. 

Gesetzlicher Mindestlohn, soziale Grundsicherung und öffentlicher Beschäftigungssektor, das sind drei soziale und humane Alternativen zu Hartz IV und zur Agenda 2010. Und ich bleibe dabei: Wir dürfen nicht nur NEIN sagen, wir brauchen JA's, für die der Kampf lohnt.

24. 

Beides gehört zusammen, auch bei der Rentenpolitik. Die große Koalition hat gerade die Rente mit 67 beschlossen. Und sie hat die Rente mit 67 schöngeredet mit ein paar Maßnahmen, die abgeschriebenen Ü-50-Arbeitslosen helfen sollen, wieder Arbeit zu finden.

25. 

Das ist ein wie Batzen Bayrisches Gammelfleisch garniert mit einem Krümel Lübecker Marzipan. Unter dem Strich ist das nichts anderes, als eine weitere Rentenkürzung. Und an die Jüngeren auf dem Platz gerichtet: Das ist Euer Problem, nicht das der Rentnerinnen und Rentner von heute!

26. 

Wir haben bei der Rente dasselbe Grundproblem, wie bei allen Sozialsystemen: Die Unternehmen werden immer mehr entlastet und die Lasten bleiben bei jenen hängen, die noch Arbeit haben. Das kann nicht gut gehen. Also brauchen wir eine andere Steuer- und Arbeitspolitik.

27. 

Und wir haben in der Gesundheitsvorsorge dasselbe Problem, wie bei allen Sozialsystemen: Die Unternehmen werden immer mehr entlastet und die Lasten bleiben den Kranken hängen. Das sind keine Zukunftsmodelle. Also brauchen wir eine andere Steuer- und Sozialpolitik.

28. 

Deshalb mein abschließender Appell: Wir dürfen nicht zulassen, dass wir gegeneinander ausgespielt werden: Der Arbeitslose gegen Florida-Rolf, der Junge gegen den Alten, der Gesunde gegen den Kranken, der Einheimische gegen den Zugereisten. Wehren wir uns gemeinsam!
 

 

 

4.12.2006
www.petra-pau.de

 

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