Das Deutschland bin ich nicht, will ich nicht

Politischer Aschermittwoch der Linkspartei.PDS und der WASG
Berlin und Baden-Württemberg (Filderstadt-Bernhausen) am 01. 03. 2006,
Rede von Petra Pau

⇒ als Audio (mp3; 8,69 MB)

1. 

Der Sozialstaat ist am Ende. Wir wissen auch, warum. Es wird uns Tag für Tag erzählt. Die Alten arbeiten nicht genug und die Jungen drücken sich ohnehin. Also, sagen Union und SPD: Die Alten müssen länger ran und wer jung und trotz Hartz I bis IV noch immer arbeitslos ist, der hat auch kein Recht aufs Arbeitslosen-Geld II. Es ist zu kürzen. Außerdem gehören alle U-25 ins „Hotel Mama“. Also: Schluss mit flügge, einstallen, soziale Vogel-Grippe à la Münterfering. Fehlt nur noch das Keulen.
Womit ich bei der Alternative wäre. Denn wer bereit ist, das Grundgesetz am Hindukusch zu verteidigen, darf den Haus-Arrest verlassen. Dem steht die Welt offen - ohne Abzüge. Zum Sold gibt es sogar eine gut dotierte Kopfprämie dazu - getreu der Militär-Hierarchie, preußisch korrekt.
Und nach Herkunft: Denn noch immer zählt versicherungs-politisch ein zerfetztes Ost-Soldatenbein weniger als ein zerfetztes West-Soldatenbein.
Das alles ist Deutschland anno 2006! Und deshalb können mir noch so viele Spots einreden „Du bist Deutschland!“ Nein, so ein Deutschland bin ich nicht! Und so ein Deutschland will ich auch nicht!

2. 

Derweil hat der Bundesgerichtshof ein bemerkenswertes Urteil gesprochen. Es ging es um den „Irak-Krieg“ und um die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland daran beteiligt ist. Immerhin leistet Deutschland den USA umfangreiche logistische Hilfe.
Seither haben wir es amtlich: Wer Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg leistet, führt selbst einen völkerrechtswidrigen Krieg. Also ist Deutschland Kriegs-Partei. So die Kurzfassung des Bundesgerichthofes.
Dann kam Generalbundesanwalt Kai Nehm, der oberste Ankläger der Bundesrepublik Deutschland. Er stellte klar: Die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist strafbar. Das Führen eines Angriffskrieges aber nicht. Ein Blick ins Strafrecht zeigt: Er hat sogar Recht! Auch das ist Deutschland anno 2006.
Und weil das ein Unding ist, werden wir beantragen, den entsprechenden Artikel im Strafgesetzbuch endlich zu ändern. Denn Krieg darf kein Mittel der Politik sein und Krieg darf schon gar nicht rechtens sein!

3. 

Zurück zu den Sozial-Problemen. Der Bundesrat fordert vom Bundestag ein Gesetz, das endlich einen umfassenden Datenabgleich zulässt, um Sozialmissbrauch aufzudecken. Ich bin gegen Sozialmissbrauch. Aber was ist das? Wenn „Florida- Rolf“ seine karge Sozialhilfe versonnt oder wenn sich Bank-Chef Ackermann Tausende Entlassungen vergoldet?
Sozial- Rolf hätte uns in Florida Heiz-Kosten erspart. Bank-Ackermann indes kommt uns daheim teuer zu stehen. Das ist der Unterschied!
Und deshalb behält Bertolt Brecht recht, wenn er meint: Was ist die Plünderung einer Bank gegen die Gründung einer Bank. Und deshalb bleiben wir dabei: Die Ackermänner sind unser Problem, nicht die Rolfs und Prolls, die von BILD und anderen zum Buh-Mann erklärt werden.

4. 

Zur Erinnerung: Noch gilt in Deutschland ein umfangreicher Datenschutz, zumindest de jure.
Nach den Terroranschlägen in den USA am 11. 9. (2001) wurden auch hier umfangreiche Sicherheitsgesetze beschlossen - „Otto-Pakete“ - benannt nach dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily.
Dazu gehört ein umfangreicher Datenabgleich: Personen-Daten, Bank-Daten, Sozial-Daten, Reise-Daten und so weiter. Offiziell hieß es: Das wäre eine unabdingbare Ausnahme im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die Grünen haben zugestimmt.
Kaum war die Ausnahme beschlossen, wurde sie ausprobiert - im Kampf gegen vermeintliche BAföG-Sünder, also gegen Studentinnen und Studenten. Und nun soll die besondere Ausnahme zur allgemeinen Regel werden: für Millionen ALG-II-Empfänger und deren Umfeld!
Nach dieser Lesart sind Terroristen, Studenten und Arbeitslose letztlich ein und dasselbe. Das ist absurd, aber wahr: Wer arm dran ist, verliert auch noch seine Bürgerrechte. Auch dieses Deutschland will ich nicht.
Ich will stattdessen eine soziale Grundsicherung für jede und jeden. Sie wäre gerechter. Und sie würde den millionenfachen Einbruch in die Privat-Sphäre erübrigen. Denn in dem Deutschland, das ich meine, müssen Bürgerrechte für alle gelten, nicht nur für Schöne und Reiche.

5. 

Hierzulande praktizieren viele Wunderheiler, die den Sozialstaat tot pflegen. Ulla Schmidt zum Beispiel, die Quacksalberin der Nation. Oder Sabine Christiansen, als öffentlich-rechtliche Gesundbeterin. Aber es gibt auch Nachwuchs-Schamanen. Einer kommt aus dem Süden.
Ich meine ausnahmsweise nicht Edmund Stoiber. Der spricht für sich selbst, als Karikatur aufs christliche Abendland. Darüber lohnt kein Streit. Nein, ich meine Günther Oettinger, seit kurzem Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Er schlug vor: Ältere Arbeiter sollten auf Gehalt verzichten. Denn wer älter als 40 ist, der habe auch seinen Zenit überschritten, der wird geistig träge und körperlich schlaff, also nix global und nix modern. Alt-Lasten halt und teuer! Seine Botschaft machte bundesweit Furore.
Oettinger ist 13 Jahre über die 40. Allein sein Minister-Salär beträgt 200.000 Euro jährlich. Er ist Mitglied der schlagenden Verbindung „Ulmania“, wo zuweilen das Deutschland-Lied komplett gesungen wird. Und er gehört dem „Anden-Pakt“ an, einer Boy-Group karrieregeiler CDU-Männer. Ergo: Ein Deutschländer Würstchen aus Gammelfleisch.

6. 

Der Name Oettinger steht für eine weitere Posse. Denn das amtliche Baden-Württemberg liefert den Beckstein-Bayern ein Kopf-an-Kopf-Rennen beim Thema Integration und Leitkultur. Ein absurder Wettstreit.
Bevor Oettinger nämlich Ministerpräsident wurde, hatte er eine Konkurrentin: Annette Schawan. Die langjährige Kultusministerin unterlag. Insider meinen: Sie hatte zwei Makel: Oettinger ist Schwabe, also Einheimischer. Schawan ist zugewandert, also Migrantin. Außerdem wurde rechtzeitig gestreut, Annette Schawan sei lesbisch.
Diese Geschichte fiel mir wieder ein, als jüngst dieser fragwürdige Fragebogen bekannt wurde, nachdem die Behörden in Baden-Württemberg testen sollen, ob Zugewanderte deutschtauglich sind.
Demnach sollen es muslimische Frauen prima finden, wenn ihr Sohn schwul ist. Und muslimische Männer sollen sich freuen, wenn sie endlich eine Frau als Chefin bekommen.
Die Grünen haben natürlich sofort gesagt: Das ist rassistisch. Die FDP hat beklagt: Das ist ein Verstoß gegen Bürgerrechte. Ich vermute etwas ganz anderes: Das ist die zweite Badische Aufruhr gegen die Obrigkeit, diesmal gegen den Papst.
Denn Benedikt XVI. würde nie eine Frau über sich dulden. Und über einen schwulen Sohn darf er sich auch nicht freuen. Der gefeierte Bayer Ratzinger dürfte demnach in Baden-Württemberg nicht mal Deutscher sein. Also wieder nichts mit „Du bist Deutschland“.

7. 

Auch Bayerns Innenminister will mit einem Fragebogen gewaltbereite Muslime aufspüren. Seither frage ich mich: Woran erkennt man sie? Aus der Geschichte kenne ich nur ein Beispiel, bei dem das offensichtlich war.
Damals ritt eine große Horde Osmanen mit Turban und krummen Säbeln gen Wien. Sie führten nichts Gutes im Schilde. Das war 1529. Aktuell ist mir kein ähnlicher Fall bekannt, auch nicht aus Bayern.
Deshalb entwickelt Beckstein neue Theorien. O-Ton: „Der brave türkische Arbeitnehmer hat oft ein geringeres Interesse, sich einbürgern zu lassen als ein Extremist, der auf einen deutschen Pass scharf ist, um ungehinderter reisen zu können.“ Mit anderen Worten: Böse Türken wollen Deutsche werden, gute Türken bleiben Türken. So einfach ist das!
Und es gibt weitere Merkmale, mit denen Beckstein die böse Islam-Spreu von Gottes guten Weizen trennen will. Wer Kontakte zum Bund der Antifaschisten angibt, hat in Bayern schlechte Karten. Und wer zugibt, er finde die Linkspartei gut, ist ein klarer Fall für den Verfassungsschutz.
Das ist Des-Integration à la Beckstein. Und niemand, der so denkt und handelt, darf sich wundern, wenn sich in der Welt des Islam Missmut gegen so viel fundamental-westliche Arroganz aufstaut. Ich mag Bayern, aber dieses bornierte Deutschtum will ich nicht!

8. 

Als Innenpolitikerin muss ich natürlich generell etwas zu unseren Innenministern sagen. Sie sind unter anderem zuständig für die Bundespolizei, für den Zoll, für den Katastrophenschutz, für die Geheimdienste, und so weiter. Außerdem obliegt ihnen der Schutz der Verfassung. Natürlich nur, so wahr ihnen Gott dabei helfe.
Im Bund sind sie auch für den Sport zuständig. Also treiben sie Sport, Kampfsport. Und so attackierte Otto Schily das Grundgesetz wie weiland die Osmanen Wien: Hoch zu Ross und mit dem Krumm-Säbel. Die Schneisen die er in Grund- und Bürgerrechte schlug, sind groß.
Wolfgang Schäuble bevorzugt das Florett. Aber er schwingt es nicht weniger eifrig und er sticht nicht weniger ins Grundgesetz, als vor ihm Otto der Starrsinnige.
Überhaupt: Wer sich Urteile des Bundesverfassungsgerichtes anguckt, kann feststellen: Es gibt keine Berufsgruppe, die das Grundgesetz so oft und so vorsätzlich terrorisiert, wie unsere Verfassungsminister. Umso lauter fordern sie: Muslime sollen endlich aufs Grundgesetz schwören.
Als ob das ein Garant für irgendwas wäre. Im Gegenteil: Die Schilys, Schäubles, Becksteins und Schönbohms sind der beste Beweis: Wir dürfen den Schutz der Verfassung nicht Ministern überlassen, schon gar nicht den Innenministern. Wir alle, Demokraten und Liberale müssen unsere Bürgerrechte selber schützen. Sonst ist Gefahr im Verzug.

9. 

Das Bundesverfassungsgericht hat das so genannte Luftsicherheitsgesetz - weil verfassungswidrig - außer Kraft gesetzt. Das war gut so. Denn es war eine Lizenz zum Töten. Zugleich sollte das Gesetz den Einsatz der Bundeswehr im Innern erleichtern. Das Bundesverfassungsgericht sagte: Nein! Schäuble sagte: Doch! Notfalls wolle er das Grundgesetz ändern.
Als Droh-Kulisse dienen diesmal die Fußball-WM und mögliche Terroranschläge. Dagegen, so Innenminister Schäuble, brauche er die Bundeswehr im Innern. Das Szenario ist gut gewählt. Denn je größer das Fußball-Fieber wird, desto kleiner erscheinen Grund- und Bürgerrechte. Umso mehr bleibe ich dabei: Die Spiele sollen kommen, die Bürgerrechte müssen bleiben.
Zumal: Brandenburgs Innenminister Schönbohm war inzwischen geschwätziger. Es könne ja sein - sagte er auf einem Europäischen Polizei-Kongress - dass sich Krawalle, wie rund um den 1. Mai in Berlin, so lange hinziehen, bis die Polizei erschöpft ist. Dann brauche er die Bundeswehr im Innern.
Zur selben Zeit platze eine Meldung aus Osnabrück in die allgemeine Debatte. Dort wurden Ein-Euro-Jobber als Streikbrecher gegen Ver.di eingesetzt. Die Polizei hat ihnen den Weg geebnet. Auch das nährt den Verdacht: Es geht nicht um die Fußball-WM. Vielmehr droht angesichts zunehmender sozialer Konflikte eine Militarisierung der Innenpolitik.
Auch deshalb: Die Linke muss immer sozial Partei ergreifen. Aber sie muss mehr sein. Sie muss immer auch eine Bürgerrechtspartei sein. Denn beides, soziale und Bürgerrechte gehören untrennbar zusammen.

10. 

Eine letzte Geschichte aus dem Bundestag: Das Luftsicherheitsgesetz wurde von der SPD und von den Grünen beschlossen. Natürlich angefeuert durch die CDU/CSU. Als es vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde, gab es ein parlamentarisches Nachspiel. Für die Grünen sprach Christian Ströbele, ihr Vorzeige-Linker.
Und er sprach: Dieses Gesetz habe er immer für falsch gehalten. Er habe ihm dennoch zugestimmt. Denn erst wenn ein Gesetz als Gesetz gesetzt ist, könne man dagegen klagen und feststellen lassen, dass das Gesetz verfassungswidrig sei. Das, so Ströbele, sei nun passiert. Den Grünen sei Dank!
Als Ströbele das allen ernstes erzählte, dachte ich: Vielleicht hat Oettinger doch recht. Ströbele ist inzwischen 67 und wäre damit sogar noch weit über Oettingers Zenit hinaus.
Überhaupt scheinen die Grünen bedenklich gealtert. Sie wollen alles aufklären, was es im Zusammenhang mit der BND-CIA-Affäre und dem Irak-Kieg aufzuklären gibt. Meint die Grünen-Spitze. Und genau deshalb sei sie gegen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
So war der Stand Anfang Februar. Inzwischen wollen sie doch einen - einen feinen aber kleinen, mit einem Mini-Untersuchungs-Auftrag. Sie werden wissen, warum. Und die Grünen hoffen auf die FDP. Die wollte bisher auch einen Untersuchungs-Ausschuss. Aber die FDP hat gute Kontakte zur Bundeskanzlerin. Und Angie will gar keine Aufklärung.
Dafür machen sich andere zum Kasper. So mahnt der SPD-Innen-Experte Wiefelspütz angesichts der jüngsten BND-Affäre: „Lasst uns souverän sein und an unsere Regierung glauben.“ Armes Untertan-Deutschland, kann ich da nur mir Heinrich Mann sagen. Dieses Deutschland bin ich nicht und dieses Deutschland will ich auch nicht.
Und deshalb schließe ich: Wir brauchen keine schwarzen Roten, wir brauchen auch keine grauen Grünen. Wir brauchen eine frische und kräftige Linke, bundesweit. Damit ein gutes Deutschland blühe - endlich!
 

 

 

1.3.2006
www.petra-pau.de

 

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