Aktuelle Notiz: Einheits-Halbwahrheiten

von Petra Pau
Berlin, 4. Oktober 2005

Nehmen wir mal an, es war gut gemeint. Jedes Jahr am 3. Oktober wird der „Tag der Einheit“ groß begangen, jeweils in dem Land, das gerade den Vorsitz im Bundesrat innehat, also diesmal in Brandenburg, konkret in Potsdam. Alles, was in der Politik Rang und Namen hat, kommt zu Hauff: Gottesdienst, Festreden, Beifall, Volksfest, Biermeile.

„Halb“, hieß das Wort des 15. Tages der Einheit. „Das Glas ist halb voll“, meinte die eine Prominenz. „Der halbe Weg ist vollbracht“, frohlockte die andere. Alles Halbwahrheiten, alles Sonntagsgeschwätz, alles Pfeifen im Wald. Denn das politische Alltagsproblem ist: Das Maß fürs Ganze ist weg. Die viel beschworene Einheit zerbröselt, in Ost und in West.

Politik müsse wieder wahrhaftig sein, mahnte Bundespräsident Köhler am Vorabend der Feierlichkeiten. Und er meinte: „Für gleiche Lebens-Bedingungen gibt es keine Perspektive.“ Das klingt ehrlicher, als die „blühenden Landschaften“, die Alt-Kanzler Kohl einst den „Ossis“ versprach. Aber es ist gefährlicher, auch für „Wessis“. Es ist eine Absage ans Grundgesetz.

„Das sollte kein Bundespräsident tun“, habe ich daraufhin erklärt. Es gibt Benachteiligungen, die ausdrücklich für Menschen in den neuen Bundesländern gelten: bei Löhnen, bei Renten, bei Arbeitslosen. Aber auch das ist wieder nur die halbe Wahrheit. Der Sozialstaat überhaupt wird aufgelöst. Warum? Das wäre die spannende Kontroverse zum „Tag der Einheit“ gewesen.

Die PDS, inzwischen Linkspartei.PDS, kontert die verordnete Einheitsfreude seit 1991 mit einem Einheiz-Markt, im Osten: mit viel Politik, viel Kultur und viel Bier. Auch das ist inzwischen Ritual, ebenso überholt. Ich war heute wieder auf beiden Feten, in Potsdam und in Rostock. Die neue Linke muss wirklich etwas Besseres erfinden: kulturell, bundesweit und verbindend.
 

 

 

4.10.2005
www.petra-pau.de

 

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