Modernes Einwanderungsrecht oder verfassungswidriges Polizeigesetz?

IG Metall Berlin-Brandenburg, 17. 04. 2004, Podium: „Einwanderungsgesetz“

1. 

Olaf Henkel ist sicher vielen noch als Chef eines großen Unternehmensverbandes bekannt. Ich bin selten seiner Meinung. Aber in einem stimme ich ihm zu. Die taz vom 07. April 2004 zitiert ihn so: „Die Parteien missbrauchen das Thema für ihr Wählerklientel… Wir sollten uns (aber) hüten, jene, die zu uns kommen, unterschwellig als potenzielle Attentäter zu begreifen.“ Wo Henkel Recht hat, hat er Recht!
 
Die PDS hat zu Beginn der aktuellen Einwanderungsdebatte gesagt: Wir brauchen einen Paradigmen-Wechsel. Wir müssen mit dem Leitbild vom „Ausländer als Gast und Lückenbüßer“ sowie vom „Ausländer als potentielle Bedrohung der Inneren Sicherheit“ brechen.
Und wir müssen aufhören, Migranten in „nützliche“ oder „unnütze“ Menschen einzuteilen. Das war unser Anspruch, er ist es noch immer.

2. 

Inzwischen schreiben wir 2004 und es gibt noch immer kein modernes Einwanderungs-Gesetz. Trotz mehrerer Expertengruppen, die von den großen Parteien berufen wurden. Und trotz fünf Jahren Diskussion. In der allgemeinen Erinnerung schlummert nach alledem vielleicht noch eine Bundesrats-Sitzung, eine Allparteien-Inszenierung, bei der sich alle zum Kasper machten. Gelöst wurde nichts.
 
Nun fordert die IG-Metall „umgehend“ ein Zuwanderungsgesetz.
Ich bin skeptischer. Meine Prognose ist: Wir bekommen auf absehbare Zeit kein modernes Gesetz. Ich neige vielmehr zu der These: Kein neues Einwanderungs-Gesetz ist derzeit besser, als ein schlechtes. Denn nach allem, was derzeit aus den Verhandlungen zwischen SPD, Grünen, CDU und CSU öffentlich wird, ist leider zu befürchten: Versprochen war ein Einwanderungsgesetz. Heraus kommt ein Polizeigesetz.
 
Ich zitiere nur mal die „Deutsche Welle“ vom 19. 03. 2004. Da heißt es unter Berufung auf Angela Merkel (CDU): „Ein Zuwanderungs-Gesetz wird es nur geben, wenn die Frage geklärt wird, wie man den Aufenthalt von verdächtigen Ausländern beenden kann, bevor das Gerichtsverfahren beendet ist.“ Das ist ein Junktim wider alle Normen eines Rechtsstaates und es hätte auch nichts mit dem beschriebenen Paradigmen-Wechsel zu tun - im Gegenteil.

3. 

Damit bin ich bei einem übergreifenden Problem, das auch in die Zuwanderungs-Debatte eingreift, aber nicht nur:
Der Umgang mit dem „11. September“. Gemeint sind die Terroranschläge in den USA 2001, nicht der Putsch in Chile anno 1973. Seit diesem „11. September“ werden andere Kulturen und fremde Menschen wieder verstärkt unter einen Generalverdacht gestellt und ausgegrenzt. Das ist im Alltag so und das wird von der herrschenden Politik nach Kräften bedient. Auch die Debatte um das so genannte Kopftuch-Verbot gehört für mich dazu - aber das ist nur ein Beispiel von vielen.
 
Überhaupt hat der Generalverdacht Konjunktur. Wer die Politik der USA nicht teilt, wird als anti-amerikanisch abgestempelt. Wer die EU-Tür für die Türkei offen hält, gilt als Gottes-Lästerer. Der Kompass wird gekreist, nach Kalkül. Nord-Süd, Ost und West verlieren ihre Richtungen im Nebel widerstrebender Interessen, kapitaler Interessen. Der Welt-Musiker Barenboim wird gelobt, weil er Musiker aus Israel und Palästina zusammenbringt. Zugleich wird weltpolitisch Zwietracht genährt. Die UNO wird als historische Errungenschaft beschworen. Zugleich wird sie zur Putze degradiert.

4. 

Wir erleben dasselbe Phänomen übrigens auch im Zusammenhang mit der EU-Ost-Erweiterung. Ich verstehe viele Ängste, die es insbesondere in den Grenz-Regionen gibt. Verglichen mit der großen Welt geht es wahrlich um Dörfliches. Aber das macht die Sorgen nicht kleiner, auch nicht die Ängste. Sie sind da und begründet.
 
Aber ich teile Verheugens grundsätzliche Kritik, wenn er sagt (Zitat - Rheinischer Merkur, 15. 04. 2004): „Die Probleme, die die Bürgerinnen und Bürger beschreiben, sind real - sie sind längst da, seit Jahren -, aber die Erweiterung der Europäischen Union ist nicht die Ursache dieser Probleme.“ Verheugen fügte noch an, die EU und ihre Erweiterung bringe die Lösung dieser realen, alten Probleme. Da habe ich nun wieder ernste Zweifel. Die neue EU wird weder nach sozialen, noch nach friedlichen Mustern gestrickt.
 
Aber seine erste Einschätzung stimmt, finde ich, nehmen wir nur die Arbeitslosigkeit, die wachsende Ungerechtigkeit oder die Bildungs-Misere. Auch hier werden verlorene Heimspiele imaginären Auswärtigen angelastet. Das unterscheidet die Politik vom Profi-Fußball. Aber es ist ein Schein-Widerspruch. Auch Rechtsextreme stärken sich beim Döner um hernach Türken zu jagen. Die Wirklichkeit ist komplizierter.

5. 

Zurück zur Einwanderungs-Debatte im engeren Sinne: Wir, also die PDS, haben grundlegende Forderungen. Einige will ich nennen:
 
a) Menschen in Not sind Menschen, denen zu helfen ist. Das ist ein christliches Gebot, das ist ein sozialistisches Gebot, das ist ein humanistisches Gebot. Deshalb waren wir gegen die Einschränkung des Asylrechtes. Und ebenso dafür, das internationale Normen endlich im deutschen und im EU-Recht festgeschrieben werden. Als Stichworte nenne ich nur die „nicht-staatliche Verfolgung“ und die „Kinderrechts-Konvention“ der UNO.
Jedenfalls finde ich es beschämend, dass ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung im EU-Kontext am schärfsten auf die Bremse tritt. Und ich finde es gut, dass in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin versucht wird, die engen Rechtsrahmen auszureizen (Residenzpflicht, Wohnungen, Bar-Geld).
 
b) Die Würde des Menschen - nicht nur des Deutschen - ist unantastbar. Deshalb ist ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz überfällig.
Rot-Grün hat es seit 1998 versprochen. Die PDS-Fraktion im Bundestag hat in der vorigen Legislatur einen Entwurf vorgelegt - vergebens.
Umso verdienstvoller ist es, dass Rot-Rot in Berlin nun wenigstens auf Landesebene ein entsprechendes Gesetz schaffen will.
 
c) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ist seit Jahrzehnten so und das kann in einer globalisierten Welt auch gar nicht anders sein.
Deshalb muss viel mehr darüber nachgedacht werden, wie die verschiedenen Erfahrungen und Kulturen integriert werden - miteinander und nicht gegen einander. Dafür müssen Bedingungen befördert werden.
Also klare Forderung: Integration statt Assimilierung oder Abschottung.
 
d) Wir brauchen ein nachvollziehbares Einwanderungsrecht, kein Verhinderungsgesetz, wie von CDU und CSU gefordert.
Ein Einwanderungsrecht muss überschaubar, allgemeingültig und progressiv sein: für Familien-Nachzug, für Existenzgründer, für Leute, die hier lernen, studieren, arbeiten wollen. Und zwar zu Bedingungen, die hier üblich sind. Ich habe mich übrigens von Anfang an sehr kritisch geäußert, als Bundeskanzler Schröder auf die Idee mit der Greencard kam. Sie erinnern sich, im Volksmund ging es um gut ausgebildete Inder mit Laptop. Sie sollten als „Human-Kapital“ auf Zeit angemietet werden, so wie andere ein Firmen-Auto leasen. Es wurde ein Flop.
 
e) Mit einem modernen Einwanderungsrecht könnte und müsste auch ein schwelendes Problem gelöst werden, das gern verschwiegen wird, aber real existiert - das der so genannten Illegalen.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf einen Widersinn, den ich neulich auch im Bundestag angesprochen habe. Mit der bevorstehenden EU-Erweiterung werden viele bislang „Illegale“ legalisiert - sofern sie aus Ost-Europa kamen. Sie erhalten aber kein Arbeitsrecht. Sie werden - wie andere auch - EU-Bürger 3. Klasse.

6. 

Kurzum:
Ich konnte vieles nur antippen, was zum Thema „Einwanderung“ zu sagen wäre. Richtig ist: Wir brauchen ein modernes Einwanderungs-Gesetz. Es ist überfällig. Zugleich sehe ich das, was derzeit ausgehandelt wird, mit Sorge.
 
Umso wichtiger ist es, wenn Betroffene, wenn Organisationen, wenn Kirchen, wenn Gewerkschaften, die Debatte fortsetzen und nicht klein beigeben, wenn der so genannte mainstream Unsinn verbreitet.
Was ich kann, das will ich gern dazu beitragen - werbend und provozierend. Deshalb danke ich auch für die Einladung.
 

 

 

17.4.2004
www.petra-pau.de

 

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