Ein Zukunftskongress muss Neues suchen

Rede von Petra Pau auf der fds-Akademie der LINKEN am 6. Dezember 2014 in Frankfurt am Main

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1. Zwei Episoden vornweg

Ich war jüngst wieder in Baden-Württemberg. So auch in Freiburg zu einer Veranstaltungsreihe der Landeszentrale für politische Bildung. Es ging um „25 Jahre Mauerfall - die deutsche Einheit eine Erfolgs(?)-Geschichte“.

An anderen Abenden dieser Serie waren Hubertus Knabe, Marianne Birthler und Markus Meckel gefragt. Ich habe dennoch zugesagt, weil ich das Thema meines Vortrages frei wählen konnte: „Linkssein im 21. Jahrhundert!“.

Ich fuhr gut vorbereitet und dennoch unsicher hin. Was erwartet mich dort? Ich wurde überrascht. Im Hörsaal der Uni saßen 150 bis 200 Interessierte. Nicht am Mauerfall, sondern an Links im 21. Jahrhundert.

Nach meinem Vortrag ging es in die freie Debatte. Keine Biermann-Arie, keine Gauck-Lyrik, das alles bewegte im Saal offenbar niemanden, weder die jungen Studenten, noch die älteren Semester.

Nach zwei Stunden beendete der Veranstalter die Debatte mit den schönen Worten: „So viel Karl Marx war in diesem Hörsaal seit langem nicht! Danke, Frau Pau!“ Ich sollte ihn mir einrahmen.

Die zweite Episode stammt aus Berlin, aus dem Bundestag, jüngst aus einer Fraktionssitzung der Linksfraktion. Es ging um eine geplante Kampagne der Partei DIE LINKE für faire Arbeit, gegen Armut. Ich bin unbedingt dafür.

Jan Korte warnte davor, dass jede oder jeder sein Spezial-Thema in die Kampagne hineinkämpft. Eine Kampagne müsse klar erkennbar sein und darf nicht beliebig werden. Auch dem stimme ich zu.

Ein anderer Kollege ging weiter. Faire Arbeit und die soziale Frage sei der Gründungskonsens der WASG gewesen und mithin der absolute Kern der Linkspartei. Alles andere habe zurückzustehen, sei drittrangig. Dem widerspreche ich: vehement rückblickend und warnend vorausschauend.

2. „Freiheitsgüter“

Ich engagiere mich seit 25 Jahren in dieser Partei mit dem klaren Anspruch: soziale Rechte und Bürgerrechte dürfen nie mehr hierarchisiert oder gegeneinander aufgerechnet. Das gehörte zum Grundmanko der DDR.
Das gehört aber auch zu den Grundproblemen im neuen Deutschland.

Erinnert euch: Zum Beginn der Programmdebatte 2009 gab es zwei Entwürfe. Einer firmierte als „Lafontaine-Entwurf“, der andere als „Bisky-Entwurf“. Heraus kam ein Kompromiss, in dem mehr Lafontaine als Bisky drin ist. Was auch heißt: weniger Bürgerrechte.

Der Bisky-Entwurf fußte auf Überlegungen von Dieter Klein und Michael Brie. Er enthielt ein zentrales Plädoyer für „Freiheitsrechte“. Sie flogen aus der Programmatik raus. Deshalb will ich daran erinnern, worum es ging.

„Freiheitsgüter“ umfassen mehr, als klassische Bürgerrechte, wie
•  Meinungsfreiheit;
•  Versammlungsfreiheit;
•  Pressefreiheit;
•  Informationsfreiheit, also auch
•  Datenschutz.

Zu den „Freiheitsgütern“ gehören auch
•  Gesundheit;
•  Bildung;
•  Mobilität;
•  Kultur,
•  Information (also auch Internet);
•  Mobilität, sowie weitere "Lebens-Mittel", wie
•  Luft, Wasser, Energie.
Beide Kategorien dieser "Freiheitsgüter" bedingen einander.
Mich überzeugt diese Überlegung.

In der DDR waren Gesundheit, Bildung, Mobilität, Kultur, Wohnen, Wasser und Energie subventioniert, während Meinungs-, Versammlungs- oder Pressefreiheit ausgesetzt wurden.
In der vereinigten BRD werden Gesundheit, Bildung, Mobilität, Kultur, Wohnen usw. für immer mehr unerschwinglich, zugleich geraten Meinungs-, Versammlungs-, Pressefreiheit usw. unter Druck.

Beides endlich zusammen zu denken, Bürger- und soziale Rechte als „Freiheitsgüter“, könnte ein linkes Markenzeichen im 21. Jahrhundert sein.
Aber es findet so nicht statt.

3. „neue“ Bürgerrechtspartei

Nun heißt der Titel unserer Werkstatt „neue Bürgerrechtspartei“.
Gegen das „neue“ wollte ich ursprünglich polemisieren.
Trotzdem gibt es drei Punkte, die aus meiner Sicht das „neu“ berechtigen.

Punkt eins ist simpel: DIE LINKE mag sich für eine Bürgerrechtspartei halten. Das ist aber ein Binnenblick. Gesellschaftlich wird sie mitnichten so wahrgenommen, jedenfalls nicht in den Kompetenz-Zuschreibungen.

Punkt zwei ist aktuell: Aus meiner Sicht gibt es derzeit 3 Generalangriffe auf Bürgerrechte und Demokratie, weltweit:
Erstens: die nahezu Allmacht der großen Finanzwelt;
Zweitens: die Totalüberwachung durch NSA & Co.;
Drittens: das TTIP, die drohende Kapitulation der Politik vor dem Kapital.

Mein Punkt drei hat etwas mit der Zukunft zu tun. Und ich gebe zu, dabei haben mich Leute, wie Jerefim Rifkin oder Hermann Scheer ( † ) durchaus angesteckt.
Ihre Grundthese folgt durchaus Prämissen, die auch Karl Marx setzte. Nämlich dass grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen immer revolutionäre Neuerungen in der materiellen Welt, bei den Produktivkräften vorausgingen.

Der Buchdruck und die Nutzung von Wind- und Wasserenergie durch Mühlen ermöglichten Manufakturen und damit Wege aus dem Feudalismus hinaus.
Die Telegrafie und die Nutzung von Dampfenergie ermöglichten Fabriken und damit Wege in den Kapitalismus hinein.
Telefonie, Rundfunk und Fernsehen sowie Elektro-Energie aus fossilen und atomaren Quellen ermöglichten einen globalen Imperialismus.

Es waren also immer zwei materielle Revolutionen, die miteinander Neues bewirkten: nie gekannte Kommunikationsmöglichkeiten und bis dato nicht nutzbare Energiequellen.
Das führt zu der spannenden Frage: Könnte es nicht sein, dass das Internet und eine dezentrale Solarwende so grundlegende Potenzen bergen, die möglicherweise sogar über den Kapitalismus hinausweisen?

Ich will das an einem Beispiel nur andeuten. Seit Jahren verbringe ich meinen Sommerurlaub in Bayern. Und Jahr für Jahr erlebe ich: Noch mehr Häuser, noch mehr Gehöfte versorgen sich über ihre Solardächer. Die Stadt Kempten mit 30.000 Einwohnern will 2020 energie-autark sein. Sie alle koppeln sich ab von EON, Vattenfall und anderen Konzernen. Energiekonsumenten werden ihre eigenen Energieproduzenten. Ohne Machtanspruch dazwischen, ohne Profit obendrauf, ohne Kriegsdrang nach fossilen Quellen, mit mehr Selbst- und weniger Fremdbestimmung, also mehr Demokratie.

Eine neue Bürgerrechtspartei darf sich also nicht in Demonstrationen für Datenschutz, „Freiheit statt Angst“ erschöpfen. Ich merke aber auch an. Wenn es solche Demos gibt, dann sieht man dort auch nur den Innerzirkel der Bürgerrechtler innerhalb der LINKEN.

4. Zukunftskongress der LINKEN

Ich lasse es bei diesen Andeutungen und komme zur möglichen Konsequenz. Sollte es so sein - Kurzformel: Internet plus Solar = neue historische Epoche - dann gilt auch: Rote im 21. Jahrhundert müssten zugleich grün und Piraten sein, gerade auch als neue linke Bürgerrechtspartei.

Wir werden demnächst als Partei DIE LINKE einen Zukunftskongress haben. Ich sage endlich! Aber dort sollten wir auch über die Zukunft reden, auch über Visionen zur Zukunft. Dazu gehören für mich auch Netz- und Energie-Politik. Nicht als Hobby-Themen der Partei, sondern zentral und kombiniert.
Ja, das ist Neuland. Aber was anders sollte einen Zukunftskongress auszeichnen? Ich jedenfalls brauche keinen Zukunftskongress, der alte Gewissheiten fortschreibt. Ich will Neues erfahren und erstreiten.
 

 

 

6.12.2014
www.petra-pau.de

 

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