Politik gegen Rechtsextremismus - vier Anregungen

Rede von Petra Pau auf der Vertreter/innenversammlung zur Wahl der Kandidatin / des Kandidaten der Partei DIE LINKE für den Direktwahlkreis 85 (Marzahn-Hellersdorf) zur Bundestagswahl 2013 am 23. November 2012

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1. 

DIE LINKE versteht sich als antifaschistische Partei. Das ist richtig und wichtig. Und genau dazu werde ich jetzt sprechen.
Ihr wisst: Meine Pro-Themen sind Bürgerrechte und Demokratie. Meine Anti-Themen sind Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Und meine zentrale Lehre aus der DDR lautet: Soziale und Bürgerrechte gehören zusammen. Sie dürfen nie mehr gegeneinander gestellt werden.
 
Beide sind aber mehr denn je gefährdet. Daraus ergibt sich eine akute Herausforderung für Linke aller Länder und aller Couleur.
Auch für die Partei DIE LINKE - als Partei der sozialen Gerechtigkeit und als moderne sozialistische Bürgerrechtspartei. Das bleibt mein Programm!

2. 

Ihr wisst auch: Seit Januar dieses Jahres arbeite ich im Bundestag für DIE LINKE im Untersuchungsausschuss zur NSU-Nazi-Mordserie.
Über die damit zusammenhängenden Fragen und Skandale will ich jetzt nicht reden. Es würde den gesetzten Rahmen sprengen.
Mich interessieren bei der NSU-Nazi-Mordserie drei Fragen.
 
Erstens: War das Mordtrio wirklich zwölf Jahre lang unerkannt?
Und wenn nicht, warum dann unbehelligt?
Zweitens: Warum wurde die rechtsextreme Gefahr in Deutschland so lange, so gründlich, so tödlich unterschätzt? Und warum noch immer?
Und drittens: Was ist politisch wirklich zu tun, um zunehmenden rassistischen und rechtsextremen Tendenzen Einhalt zu bieten?
 
Ich sage vorweg: Ein NPD-Verbot oder Slogans, wie "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen", greifen zu kurz.
Als wirklich antifaschistische Partei muss DIE LINKE viel tiefer schürfen und weitgehender fordern. Hierzulande und für Europa.

3. 

Für breitmöglichste Bündnisse
 
Irgendjemand sagte dieser Tage: In seinem antifaschistischen Engagement lasse er sich von niemandem übertreffen. Das mag ehrenwert sein, klug ist es nicht. Denn im Kampf gegen Rechtsextremismus brauchen wir breitmöglichste Bündnisse. Und da ist es drittrangig, welches Parteibuch wer in der Tasche hat.
 
Denn diese Lehre aus der Geschichte sollten wir nie vergessen: Die Nazis kamen nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten zu zerstritten waren.
Das dürfen wir nie wieder zulassen!

4. 

Im Zusammenhang mit dem Desaster der NSU-Nazi-Mord-Serie ist wieder einmal von einer neuen Sicherheitsarchitektur die Rede.
Das scheint nahe liegend. Ich halte es dennoch mit Uwe Carsten Heye von der Initiative „Gesicht zeigen“: Versager rüstet man nicht blindlings auf!
Genau das aber wird derzeit versucht: mehr Zentralismus, mehr Befugnisse, mehr Überwachung. Dagegen muss DIE LINKE bleiben!
 
Unsere Bundestagsfraktion wird sich erst nach Abschluss der Untersuchungen zur Sicherheitsarchitektur äußern. Aber eines ist schon jetzt offensichtlich: Im Zentrum des Versagens standen die Ämter für Verfassungsschutz. Sie sind nicht kontrollierbar, sie sind auch nicht reformierbar, sie sind als Geheimdienst abzuschaffen.
 
Übrigens nicht nur, weil sie im Kampf gegen Rechtsextremismus und bei der Aufklärung der NSU-Serie versagt haben. Die Inlandsgeheimdienste schützen keine Verfassung. Sie sind ihrem Wesen nach geradezu verfassungsfremd. Sie sollen schnüffeln, meist mit politischem Kalkül.
Sie jagen nicht Täter, denn dafür ist allein die Polizei zuständig.
 
Sie sanktionieren vielmehr Haltungen, sie zensieren Meinungen, sie brandmarken Andersdenkende. Damit aber stehen sie im Widerspruch zu Artikel 5 Grundgesetz, zur verbrieften Meinungsfreiheit aller Bürgerinnen und Bürger.
 
Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Das haben uns Rosa Luxemburg, noch mehr unsere Geschichte ins Stammbuch geschrieben.
Aus Erfahrung klug verteidigen wir als linke Bürgerrechtspartei die Meinungsfreiheit und sind deshalb gegen jedwede Gesinnungspolizei!
Kurzum: Die Abschaffung des Inlands-Geheimdienstes wäre kein Verlust für die Sicherheit, sehr wohl aber ein Gewinn für die Demokratie.

5. 

Für nachhaltige Prävention
 
Mehr als die Sicherheitsarchitektur bewegt mich die Präventionsarchitektur gegen Rechtsextremismus und Rassismus.
Es gibt viele engagierte Initiativen dagegen, für mehr Demokratie und Bürgerrechte. Wir müssen sie wieder und wieder ermutigen.
De facto aber hängen viele am Tropf des Bundesfamilienministeriums.
as ist personell und strukturell eine klare Fehlbesetzung.
Gesellschaftliche Initiativen werden grundlos verdächtigt, staatlich bevormundet und finanziell kurz gehalten. Das muss sich ändern.
 
DIE LINKE fordert stattdessen:
 
Erstens eine unabhängige Beobachtungsstelle gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Denn nur mit einer vorurteilsfreien Analyse lassen sich auch stimmige Gegenkonzepte entwickeln.
 
Zweitens plädiere ich weiterhin für eine Beauftrage des Bundestags für Bürgerrechte und Demokratie. Denn nur wenn alle Ressourcen aller politischen Ressorts gebündelt werden, gibt es Aussicht auf Erfolg.
 
Drittens müssen die Demokratie-Initiativen endlich längerfristig gefördert werden, auch finanziell und personell. Denn mit kurzem Atem und ohne Perspektive ist zivilgesellschaftliches Engagement nicht zu stärken.
 
Über diese Folgerungen aus dem NSU-Desaster redet bislang fast nur DIE LINKE. Umso mehr müssen wir es weiterhin tun.

6. 

Gegen Sozial- und Demokratieabbau
 
Mit alledem, was ich bisher gesagt habe, sind wir allerdings immer noch an der Oberfläche. Die eigentlichen Probleme liegen viel tiefer.
Zehn Jahre lang haben Prof. Heitmeyer von der Uni Bielefeldt und weitere Wissenschaftler über „Deutsche Zustände“ geforscht.
Das Fazit ihrer Langzeitstudie: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, ebenso die Akzeptanz von Gewalt.
 
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist mehr als Rassismus.
Sie richtet sich genauso gegen Arbeitslose, Schwule, Behinderte, u.s.w.
Als politische Ursache für diese fatale Entwicklung führen sie an:
Das Soziale wird ökonomisiert, die Demokratie wird entleert.
 
Ihre Analyse ist eine fundierte Generalabrechnung mit der neoliberalen Politik der vergangenen zwölf Jahre. Wir haben sie nie mitgetragen: nicht Hartz IV, nicht Praxisgebühren, nicht Leiharbeit, nicht Rentenklau, die ganze "Agenda 2010" nicht. Unsere Markenzeichen waren stets soziale Gerechtigkeit und Solidarität.
„Einer trage des Anderen Last!“ Das bleibt auch mein Anspruch.

7. 

Nahezu unvorstellbar dramatisch gibt es diese Fehlentwicklungen derzeit in Südeuropa: in Spanien, in Portugal, in Griechenland. Der Sozialstaat wird zerschlagen, die Politik wird entmündigt, die Demokratie wird ausgesetzt. Es ist ein Horror-Szenario!
 
Ein aktuelles Ergebnis war vorhersehbar: 20 Prozent der griechischen Bevölkerung tendieren inzwischen zu einer neofaschistischen Partei.
Die deutsche Regierung forciert das alles. Sie blockiert EU-weit Lösungen der Vernunft und nimmt anschwellende Armut in Kauf.
Und nicht nur BILD befeuert diesen Crash-Kurs mit rassistischen Parolen. Das ist kein Spiel mit dem Feuer. Das ist vorsätzliche Brandstiftung.
 
Als LINKE fordern wir seit langem:
• Erstens: Griechenland braucht einen Schuldenerlass. Alles andere nützt nur spekulativen Banken und schadet auch uns.
• Zweitens: Griechenland hilft nur ein neuer Aufbauplan. Ansonsten ist der freie Fall nicht zu stoppen, auch hierzulande nicht.
• Drittens: Die Umverteilung von Unten nach Oben ist radikal umzukehren. Nur das kann Europa als Union retten.
 
Jeder Rückfall in fremdenfeindliche Nationalismen aber stärkt letztlich nur Rechtsextremisten und Rassisten. Das wollen wir Linke nicht.

8. 

„Die Mitte im Umbruch“ heißt eine weitere, aktuelle Studie zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland 2012. Ein Wissenschaftler-Team hat sie für die "Friedrich-Ebert-Stiftung" vorgestellt. Auch sie schlagen Alarm. Sie verweisen auf beschleunigte globale Entwicklungen und die damit für viele verbundene (Zitat) „beständige Erfahrung von Ungewissheit&147;.
 
Mehr Europa und neue Ideen
 
Ich kann es auch einfacher sagen: Kaum jemand weiß noch, was wird. Zukunftsangst grassiert, zum Beispiel vor Altersarmut. Die Reichen werden reicher und die Armen zahlreicher. Und die viel zitierte gesellschaftliche Mitte zerfällt. Das ist dramatisch und gefährlich.
 
Geradezu zynisch haben manche Kommentatoren auf zunehmende rechtsextreme Einstellungen im Osten Deutschlands verwiesen.
Und genauso reflexhaft kam die Zurückweisung: Im Westen sei es kein Deut besser, auch dort trieben Nazis ihr Unwesen. Dieses Ping-Pong hilft uns kein Stück weiter. Deshalb zitiere ich noch mal aus der Studie:
 
„Was sich in der Gegenüberstellung von Ost und West zeigt, ist die Abkopplung ganzer Regionen von der gesamtstaatlichen bzw. europäischen Entwicklung.
 
Diese zurückgelassenen Regionen bringen für die Demokratie langfristig viel schwerwiegendere Probleme mit sich als ‚nur' hohe Arbeitslosenzahlen oder Verschuldungsraten.“

 
Weiter heißt es: „Und natürlich geht es dabei um politisch hart umkämpfte Verteilungsfragen, nämlich um die Verteilung von Arbeit und Wohlstand.“ (Zitat Ende)
 
Als LINKE füge ich hinzu: Dazu gehört zwingend die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, nämlich zurück, von Oben nach Unten.
Das meine ich generell in der Steuerpolitik. Das betrifft aber auch die Kommunen oder Berliner Bezirke, die finanziell ausgeblutet werden.
Dabei kann man längst beobachten: Dort, wo sich Kommunen sozial und kulturell zurückziehen müssen, errichten Nazis ihre Hochburgen.
 
Wie Heitmeyer fordern auch die Wissenschaftler der Ebert-Stiftung im Kampf gegen Rechtsextremismus einen grundlegenden Politikwechsel. Und sie bieten weitere Stichworte an: „Mehr Politik wagen“ heißt für sie unter anderem einen flächendeckenden Mindestlohn, Konzepte für ein bedingungsloses Grundeinkommen, sowie eine Neuverteilung und Neubewertung von Arbeit.
 
Schließlich fordern sie
„Mehr Europa, aber anders, nämlich sozial und demokratisch.“
Und wiederum ergänze ich als Linke: Unser "Plan B" für einen sozial-ökologischen Umbau fügt sich hier drängend ein. Ebenso, dass Gemeinschaftsgüter wieder gemeinschaftlich werden müssen: Bildung, Verkehr, Wasser, Wohnen, Energie, Gesundheit…
 
Die Politik der CDU/CSU, aber auch der SPD ist im Gegensatz dazu geradezu abenteuerlich und gefährlich. Drei Beispiele aktuell:
• Die S-Bahn in Berlin soll EU-weit ausgeschrieben, also letztlich doch privatisiert werden.
• Die Energiepolitik des Bundes sichert die Macht der Monopole und treibt so die Preise in die Höhe.
• Und Finanzminister Schäuble verscherbelt ehemals volkseigene Wohnungen an Miethaie, anstatt sie Genossenschaften zu übergeben.
 
Zu alledem hat DIE LINKE Alternativen und zwar bessere:
konsequent sozial und konsequent demokratisch. Aber auch dafür brauchen wir gesellschaftliche Mehrheiten. Der begonnene Wahlkampf bietet dafür eine wichtige Plattform.

9. 

Fazit
 
Zusammengefasst werbe ich also für vier Ebenen der LINKEN im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Erstens: breitmöglichste gesellschaftliche Bündnisse.
Zweitens: mehr Unterstützung für gesellschaftliche Courage.
Drittens: politische Alternativen zum Sozial- und Demokratieabbau.
Viertens: Mut zu neuen Themen und für ein Europa der Zukunft.
Wir haben bei alledem mäßig Rückenwind. Aber wir haben keine bessere Wahl. Also lasst uns dafür kämpfen, gemeinsam und solidarisch.

10. 

Abschließend: Ich bewerbe mich erneut um das Direktmandat zum Deutschen Bundestag - für DIE LINKE und für Marzahn-Hellersdorf.
Das ist übrigens auch die Voraussetzung dafür, dass ich meine und damit unsere Chance als Vizepräsidentin des Bundestags wahren kann.
So kann ich die Probleme unseres Bezirks in den Bundestag bringen und unseren Bezirk weltweit präsentieren. Das vermag hier nur DIE LINKE.
 
Und ich kann das nur, weil wir immer eine gute Zusammenarbeit zwischen Bezirks-, Landes- und Bundesebene hatten. Dafür danke ich!
Auch deshalb, und bei allem Respekt vor Fortuna Biesdorf: Politisch spielt Marzahn-Hellersdorf nicht nur Bezirks-, sondern auch Bundesliga.
So soll es bleiben! Einer trage des Anderen Last! Auf geht's!
 

 

 

23.11.2012
www.petra-pau.de

 

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