Petra Pau:
Diesen Artikel fand ich in der Berliner Morgenpost (17. 07. 2003). Er erinnerte mich sehr an meine Kindheit und Jugend.
 
 
 

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Angela und ich

Heute würdigt Angela Davis in Berlin ihren Mentor Herbert Marcuse. Dabei war sie einst selbst ein Idol.

17. Juli 2003

Von Michael Pilz

Als ich in Ostberlin geboren wurde, im Oktober 1965, brütete Angela Davis an der Universität in Frankfurt/Main schon über schwer lesbaren Büchern. Zugeraten hatte ihr der Philosoph Herbert Marcuse. Angela war eine Afroamerikanerin aus Alabama.

Wir erfuhren vom gerechten Kampf der Schwarzen 1970 durch den Comic „Mosaik“, in dem die Digedags sich heldenhaft um ausgerissene Sklaven in den Sümpfen Louisianas kümmerten. „Die Neger“ spielten Banjo, sprachen fehlerhaft und weckten unser Mitleid. Daran dachten wir, als wir zum ersten Mal im Kindergarten von Angela Davis hörten und ihr Bild betrachteten. Eine sehr stolze dunkle Frau mit eindrucksvoller Lockenpracht. Wir malten Angela. Wer schreiben konnte, schrieb darunter: „Freiheit für Angela Davis!“ Unsere Bilder wurden eingesammelt und verschickt an: Richard Nixon, Präsident der USA, Weißes Haus, Washington. Wir stellten uns den Präsidenten vor, wie er die drohend krakeligen Werke sichtete und ängstlich aus dem Fenster in die Sklaven-Sümpfe spähte.

Angela war 1967 heimgekehrt, um in San Diego bei Marcuse ihren Doktor zu machen und die Black Power aufzumuntern. Sie trat ein in die KP der USA. Setzte die Dozentenstelle durch gegen den Gouverneur von Kalifornien, Ronald Reagan. 1970 stürmte einer ihrer Leibwächter einen Prozess gegen drei Schwarze, richtete ein Blutbad an und brachte Angela unter der Anklage „Verschwörung, Entführung und Mord“ ins Gefängnis. Am 4. Juni 1972 sprach das Schwurgericht sie frei nach einer Flut von Briefen, Bildern, Protesten. Und wer hatte das geschafft? Das hatten wir geschafft. Sie kam also nach Ostberlin und feierte mit Erich Honecker, der damals wartete, dass Walter Ulbricht endlich starb.

Doch Angela blieb auch in Freiheit ein Symbol für uns. Ein Mittel sozialistischer Erziehung in der Schule: Meinst du, Angela hat in Amerika im Kerker ausgehalten, damit du den Werktätigen in der Kaufhalle die Bonbons klaust? Der Fettfleck auf dem Heimatkunde-Hefter würde Angela sehr traurig machen! Jede Missetat stellte sich dar als Rückschlag für die Internationale Solidarität, den Weltfrieden sowie „die Sache“. Aber Angela war frei. Wir waren stolz. Wie darauf, dass man unsere Schule plötzlich Salvador-Allende-Schule nannte, nach Chiles gutem Präsidenten, der den Kindern täglich Milch gegeben hatte und beim Putsch gefallen war. Wir schrieben oder malten jetzt an Pinochet, den General. Die Schurken hatten ihre Rechnung ohne uns gemacht. Wir schrieben niemandem so viel wie ihnen.

Wer von uns Glück hatte, durfte 1973 auf den Alexanderplatz, zum großen Abschlussfest der X. Weltfestspiele. Walter Ulbricht war gestorben, Erich Honecker ließ sich als Hoffnung feiern. Es ging um „antiimperialistische Solidarität, Frieden und Freundschaft“. Yasser Arafat trat auf, die erste Frau im Weltall, Walentina Tereschkowa. Dann kam Angela, sie sah wie Jimi Hendrix aus und verlas den „Appell an die Jugend der Welt“: „Damit die junge Generation überall das Recht erhält auf ein kulturvolles Leben und Freizeit.“ Unser Einsatz hatte sich gelohnt. Wir hatten sie im Sommer 1972 freigekämpft.

Nun kommt sie wieder nach Berlin. Ach, Angela.
 

 

 

17.7.2003
www.petra-pau.de

 

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