Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Walter Momper, bei der Eröffnung der Ausstellung „Bersarin Nikolaj, Generaloberst, Stadtkommandant (Berlin)“ am Donnerstag, 20. März 2003

- Es gilt das gesprochene Wort -

Wo immer sich in diesen Tagen Menschen zusammenfinden, gibt es eigentlich nur ein Thema: die weltpolitische Situation, die Sorge um den Frieden in der Welt, den Krieg gegen den Irak.

Wir alle hatten gehofft, dass ein Angriffskrieg nie wieder ein politisches Mittel sein werde. Es ist anders gekommen. Wir sind zutiefst betroffen, denn wir wissen - die Älteren unter uns noch aus eigenem Erleben - wie viel Leid und Elend ein Krieg bringt, für die Menschen auf beiden Seiten. Und meistens sind es die Unbeteiligten, die Schwächsten und die Kinder, die zu Opfern werden.

Meine Damen und Herren, auch die Bilder dieser Ausstellung zeigen das Leid und die Zerstörungen eines Krieges, des Zweiten Weltkrieges. Wer die Fotos aufmerksam betrachtet, die Dokumente und Texte liest, erhält einen Eindruck dessen, was die Menschen damals aushalten mussten.

Berlin 1945 - eine Stadt in Trümmern: die Stadt, von der einst der Zweite Weltkrieg ausgegangen war, - nun zerstört und von russischen Truppen besetzt. Die Stadt in Deutschland, von der der nationalsozialistische Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg gegen die Völker der Sowjetunion ausging.

Die Berliner - und vor allem die Berlinerinnen - hatten Angst. Denn in jenen Wochen ereigneten sich all die furchtbaren Vergewaltigungen, Plünderungen und Willkür, die die Berliner fürchteten.

Die Bilder zeigen aber auch, dass damals die Humanität nicht gänzlich untergegangen war. Hinter Panzern, Gewehren und Uniformen der Besatzungsmacht war vielfach das lebendig geblieben, was Menschen miteinander verbindet: Mitmenschlichkeit. Die Fähigkeit, mit zu leiden. Die Fähigkeit, auch mit denen zu leiden, die noch kurz zuvor Gegner und Feinde waren. Dafür gab es auch damals Gesten, Zeichen, aber auch Taten, in denen diese Menschlichkeit sichtbar wurde.

Es waren Ausnahmen, aber sie gaben den Menschen Hoffnung.

Und es gab im besetzten Berlin einen Mann, der Repräsentant dieser Hoffnung war: Nikolaj Bersarin, der russische Stadtkommandant von Berlin, dem diese Ausstellung gewidmet ist.

Nikolaj Bersarin wurde am 24. April 1945 von Marschall Georgi Schukow zum Stadtkommandanten von Berlin ernannt, - zu einem Zeitpunkt, als in der Berliner Innenstadt noch gekämpft wurde.

Bersarin übernahm sofort die gesamte administrative und politische Macht. Um das physische Überleben der Bevölkerung zu sichern, organisierte er die Lebensmittelversorgung, die Reparatur der Strom- und Wasserleitungen sowie der Straßen. Auch kümmerte er sich sofort um den Aufbau von ersten Strukturen einer neuen Verwaltung in Berlin, und er versuchte, Übergriffe und Gewalt zu verhindern.

Meine Damen und Herren, hier in Berlin ist darüber gestritten worden, ob die Ehrung Bersarins berechtigt sei. Das ist sicherlich auch aus der Nachkriegssituation der geteilten Stadt zu erklären:

Für die Menschen in West-Berlin, deren Existenz und Freiheit durch die Sowjetunion bedroht wurde, war jeder sowjetische General ein Repräsentant dieser feindlichen Macht. Dieses Denken hat auch nach der Wiedervereinigung Berlins so manche politische Entscheidung mit bestimmt.

Wir erinnern uns: Im Mai 1975 - noch im geteilten Berlin - hatte der Magistrat von Ost-Berlin Nikolaj Bersarin zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.

Nach der Wiedervereinigung wurden 1992 die Ehrenbürgerlisten beider Teile Berlins zu einer Gesamtberliner Ehrenbürgerliste zusammengefasst. Dabei ist Nikolaj Bersarin nicht in die neue Liste übernommen worden.

Mit einem Beschluss vom 13. Juli 2000 hat das Abgeordnetenhaus von Berlin den Senat aufgefordert, den ersten Stadtkommandanten für Gesamtberlin, Nikolaj Bersarin, wieder in die Liste der Berliner Ehrenbürger aufzunehmen.

Der Senat von Berlin ist diesem Parlamentsbeschluss am 11. Februar 2003 gefolgt.

Seit der Zusammenstellung der Gesamtberliner Ehrenbürgerliste hat es Diskussionen über Bersarin gegeben. Der Streit war in vielen Fällen mehr durch die politische Position bestimmt als durch Kenntnis der Fakten.

Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst hat in mühevoller Forschungsarbeit die Fakten über Nikolaj Bersarin zusammengetragen. Sie, Herr Dr. Jahn, als Leiter des Deutsch-Russischen Museums, und Ihre Mitarbeiter haben verdienstvolle Arbeit geleistet. Dafür gebührt Ihnen Dank.

Sie haben Erstaunliches zu Tage gefördert und wesentlich dazu beigetragen, dass Bersarin heute anders beurteilt wird. Dass man seiner Person und seiner Leistung heute gerecht wird.

Ich denke dabei an die Aussagen hoch angesehener Zeitzeugen: Probst Heinrich Grüber, Bischof Otto Dibelius und der Berliner CDU-Politiker Ernst Lemmer brachten ihre Hochachtung für den Stadtkommandanten und sein Wirken in Berlin zum Ausdruck.

Ich denke wir ehren in der Person von Nikolaj Erastrowitsch Bersarin vor allen Dingen drei Aspekte:

Erstens die Person und die besondere persönliche Leistung. Natürlich war der Mann Soldat, Kommunist, vielleicht sogar Stalinist. Er hat auch nur etwa 50 Tage als Stadtkommandant amtiert.

Und dennoch hat er in diesen 50 Tagen eine Leistung für Berlin erbracht, die weit über seine Dienstpflicht hinaus ging. Er hat die Stadt und ihre Funktionen wieder zum Laufen gebracht und dabei eine außerordentliche Leistung gezeigt.

Zweitens hat er versucht, Plünderungen, Vergewaltigungen und Willkür zu unterbinden. Die Befehle dazu liegen vor. Das haben nicht alle so gemacht. Dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung.

Und der dritte Aspekt gilt den Völkern der Sowjetunion in Person ihres Repräsentanten, des Generaloberst Bersarin.

Die Besetzung Berlins und Deutschlands war auch die Befreiung des deutschen Volkes von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Es gilt die schlichte Tatsache, dass die Konzentrationslager nur betrieben werden konnten, solange die Front hielt. Für die Befreiung haben wir allen Völkern der Anti-Hitler-Koalition zu danken. Der größte Dank gilt aber den Völkern der Sowjetunion. Sie hatten unter der deutschen Besatzung am meisten zu leiden, sie haben den höchsten Blutzoll bringen müssen und sie haben die meisten Opfer gebracht, um sich und uns vom Joch der NS-Herrschaft zu befreien. Dafür gilt ihnen der Dank, und ihnen gilt auch die Ehrung, die wir Generaloberst Bersarin stellvertretend zuerkennen.

Über das Engagement Bersarins in Berlin hat der CDU-Politiker und spätere Bundesminister Ernst Lemmer gesagt:

„Generaloberst Bersarin schien nichts wichtiger zu sein, als Berlin lebensfähig zu machen. Er nahm seine Aufgabe so ernst und hielt sie für so selbstverständlich, als hätte er sie in seinem eigenen Land durchzuführen“.

So weit Ernst Lemmer.

Dem ist nichts hinzuzufügen.
 

Quelle: www.parlament-berlin.de

 

 

22.3.2003
www.petra-pau.de

 

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