„Seid neugierig!“

Interview mit Petra Pau zu 50 Jahren diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel
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Es sei ein „großes Wunder“, dass Deutschland und Israel seit 50 Jahren diplomatische Beziehungen führen, sagt Petra Pau (Linke). Die Vizepräsidentin des Bundestages hat den jüdischen Staat oft besucht und wünscht sich von uns vor allem: vorurteilsfreie Neugier.

Für eine tiefere Freundschaft zwischen Deutschland und Israel hat sich der Bundestag in einer Debatte Anfang Mai stark gemacht. Was würde Sie sagen macht Freundschaft aus?

Man hilft sich, versucht sich gegenseitig zu verstehen und trägt Konflikte miteinander aus, nicht gegeneinander.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel bestehen seit 50 Jahren. Wo liegen die Stärken und wo die Schwächen?

Dass es sie überhaupt seit 50 Jahren gibt, ist schon ein kleines Wunder. Nein, ein großes. Man darf den Holocaust nicht vergessen: Nazi-Deutschland wollte alle Juden sowie alles Jüdische vernichten. Sechs Millionen Menschen wurden umgebracht, viele davon in Konzentrationslagern vergast. Die Gründung des Staates Israel war eine Reaktion darauf. Es ging und geht um eine sichere Heimstatt für Juden weltweit. Und dieses Israel nahm 1955 diplomatische Beziehungen zu Nachkriegsdeutschland auf.

Sie reisen regelmäßig nach Israel, erst vor wenigen Wochen waren Sie wieder dort. Woher kommt Ihre Affinität? Woran erinnern Sie sich gerne?

Ich bin Jahrgang 1963 und habe als Nachgeborene mit dem Holocaust nichts zu tun. Aber ich fühle mich verantwortlich, dass so ein Verbrechen nie wieder geschieht. Außerdem ist Israel ein schönes Land, voller Geschichte, allemal, wenn es um Religionen geht. Außerdem ist Israel sehr widersprüchlich. Wer nach Tel Aviv kommt, wähnt sich in einer modernen europäischen Universitätsstadt am Meer, während man in Jerusalem ganz tief in die Vergangenheit eintauchen kann. Und immer trifft man spannende Leute. Zuletzt habe ich wieder Frank Meisler in seinem Atelier besucht. Von ihm stammen auch die Skulpturen, die in Berlin, und seit kurzem auch in Hamburg, an die Kindertransporte 1938/39 erinnern.

Umgekehrt war kürzlich Staatspräsident Reuven Rivlin in Berlin. Er selbst hat als junger Mann gegen die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen Israels mit Deutschland protestiert. Was hat sich seitdem verändert?

Seine ursprüngliche Ablehnung kann ich gut nachvollziehen. Aber die Beziehungen haben sich als stabil und hilfreich erwiesen. Was nicht heißt, dass sie immer leicht sind. Nach 1945 haben viele, gerade auch in Deutschland geschworen: Nie wieder Krieg! Frieden galt als höchster Wert. In Israel habe ich anderes lernen müssen. Natürlich ist auch den Juden dort Friede wertvoll. Aber Sicherheit rangiert höher. Das ist nur vor dem Hintergrund des Holocaust zu begreifen, als so gut wie niemand den Juden in deren höchster Not half, schon gar kein anderer Staat.

Rivlin klagt, die Stimmung in Europa sei gegen Israel. Die Beziehung zu Deutschland bezeichnet er trotz Meinungsverschiedenheiten als „wunderbar“. Wie können wir diesbezüglich Vorbild sein?

Ich kann seine Gedanken nicht lesen, will sie also auch nicht deuten. Fakt ist: Antisemitische Stimmungen nehmen nahezu überall in Europa zu. Es gibt sie auch in Deutschland. Antisemitismus lässt sich mit Feindschaft gegenüber Juden übersetzen, aus einem einzigen Grund: Weil sie Juden sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. Manche übertragen ihre Kritik an der Politik Israels einfach pauschal auf alle Juden. Das würden sie bei keinem anderen Staat und keinem anderen Volk tun. Gegen diesen Antisemitismus müssen wir auftreten, egal, ob auf dem Schulhof, auf dem Sportplatz, in der Kneipe oder bei Kundgebungen von Ausländerfeinden.

Die Bundesregierung setzt sich für eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt ein. Was bedeutet das genau?

Als Israel gegründet wurde, war das Gebiet natürlich kein Niemandsland. Dort lebten Menschen, insbesondere Palästinenser. Seit der Staatsgründung Israels kam es immer wieder zu bewaffneten Konflikten, zu Kriegen. In den Nachrichten wird die angespannte Situation als „Nah-Ost-Konflikt“ bezeichnet. Die Leidtragenden sind immer wieder Palästinenser. Israel ist ein anerkannter Staat, die Palästinenser haben keinen. Deshalb brauchen wir eine Zwei-Staaten-Lösung mit wechselseitig und international anerkannten Grenzen.

Was sagen Sie zu der Forderung aus einem Antrag der Koalition „weiterhin für die Existenz des Staates Israel und seine legitimen Sicherheitsinteressen als ein zentrales Prinzip der deutschen Außenpolitik einzutreten“?

Dazu sage ich Ja! Aber das bedeutet auch, den Nah-Ost-Konflikt gemeinsam mit den Palästinensern und weiteren Beteiligten zu lösen.

70 Jahre nach dem Holocaust findet im Sommer das größte jüdische Sportereignis Europas in Berlin statt. Anhand welcher Ereignisse und Projekte ist die deutsch-israelische Freundschaft noch spürbar?

Ich freue mich auf die Makkabi-Spiele. Aber es gibt auch einen regen Kultur- sowie Jugendaustausch zwischen unseren Ländern. Und ich erlebe bei meinen Besuchen in Israel auch immer wieder Universitäten, die top sind.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen? Was kann und was muss meine Generation leisten?

Das ist im Großen wie im Kleinen: Beziehungen müssen gepflegt werden. Und ihrer Generation wünsche ich etwas Kostbares: vorurteilsfreie Neugier auf andere und anderes.
 

Über Petra Pau:

Die Linken-Abgeordnete ist seit 2006 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. 1963 als Tochter eines Maurers und einer Fließbandarbeiterin im damaligen Ost-Berlin geboren, sitzt sie seit 1998 als Abgeordnete im Deutschen Bundestag. In der 15. Wahlperiode war sie sogar fraktionslose Abgeordnete. Israel kennt sie von vielen Besuchen im Land.
 

 

 

19.5.2015
www.petra-pau.de

 

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