Mehr Demokratie wagen - willkommen im Klub

Bundestag, 14. Juni 2013, Debatte über „Volksabstimmungen im Bund“
Rede von Petra Pau

1. 

Wir diskutieren über zwei Anträge der SPD-Fraktion.
Der erste will das Grundgesetz ändern.
Der zweite schlägt Verfahren vor.
 
Beide zusammen sollen zu mehr direkter Demokratie führen, zu Volksbegehren und Volksentscheiden auch auf Bundesebene.
 
Mit diesem „mehr Demokratie wagen“ schleicht die SPD durch offene linke Tore. Ich erinnere nur an entsprechende Anträge der Fraktion DIE LINKE vom März 2010, also vor drei Jahren.
 
Insofern kann ich positiv zur SPD sagen: „Willkommen im Klub!“

2. 

Andere würden vielleicht meinen: „Spät kommt ihr, aber ihr kommt!“
Aber das trifft es leider nicht.
Richtig müsste es heißen: „Spät kommt ihr, zu spät!“
 
Denn alle hier wissen: Bis zur Neuwahl des Bundestages verbleiben nur noch wenige Wochen. Und in dieser knappen Zeit ist in einem normalen parlamentarischen Verfahren der Wunsch nicht mehr ins Werk zu setzen.
 
Deshalb orakeln Böslinge, es gehe der SPD gar nicht um mehr Demokratie auf Bundesebene, sondern um puren Wahlkampf.
 
Und bei alledem, meinen Fieslinge, kalkuliere die SPD, dass die CDU/CSU tun wird, was sie seit Jahrzehnten verlässlich tut: nämlich alle einschlägigen Initiativen blockieren.
 
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die älteste Partei in Deutschland mit solchen Tricks arbeitet. Zumal es um eine gute Sache geht. Aber wenn doch, so gäbe es gleichwohl einen Ausweg.

3. 

Und deshalb an die CDU/CSU gerichtet: Ich würde mich an ihrer Stelle - ich weiß, „an ihrer Stelle“ ist für uns beide schwer vorstellbar - trotzdem, ich würde mich von der SPD so nicht vorführen lassen.
 
Deshalb meine Empfehlung an die CDU/CSU-Fraktion:
Lassen sie das SPD-Kalkül einfach ins Leere laufen und stimmen sie zu.
 
Sie würden so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen:
 
Erstens machten sie so den Wahlkampfstrategen der SPD ein Kreuz durch die Rechnung. Und das mit dem Kreuz müsste doch machbar sein.
 
Zweitens könnten wir alle dann die SPD beim Wort nehmen. Und wir wissen: Das „beim Wort nehmen“ mag die SPD zuweilen nicht.

4. 

Nun zurück zum inhaltlichen Anliegen: mehr direkte Demokratie.
Im Land Berlin wurde sie gerade erfolgreich praktiziert.
 
Über eine Viertelmillionen Berlinerinnen und Berliner haben gefordert, dass die Energienetze wieder in kommunale Hand kommen und dass ein Stadtwerk Berlin künftig mit ökologischer Energie versorgt.
 
Ich bin stolz, dass DIE LINKE wesentlich dazu beigetragen hat.

5. 

Auf Bundesebene aber sind Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksabstimmungen noch immer ausgeschlossen.
 
In Fragen direkter Demokratie ist die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor ein EU-Entwicklungsland. Das muss sich endlich ändern.

6. 

In den letzten 25 Jahren gab es mehrere Initiativen für mehr Demokratie. Sie wurden stets ausgebremst und nicht nur durch die CDU/CSU.
 
a) Die gern gelobten Bürgerrechtler der DDR hatten 1990 am Runden Tisch einen Verfassungsentwurf erarbeitet.
 
Direkte Demokratie war darin selbstverständlich vorgesehen.
Er sollte eine Mitgift der DDR für das vereinte Deutschland sein.
 
Aber die CDU (Ost) und die SPD (Ost) verweigerten in der Volkskammer seine Beratung, weil die CDU (West) und die SPD (West) das so wollten.
 
b) 1991/92 gab es im Vereinten Deutschland einen Pauls-Kirchen-Konvent für eine neue Verfassung.
 
Auch dieser Entwurf enthielt Formen direkter Demokratie.
Auch dieses Angebot wurde ausgeschlagen, nunmehr vom Bundestag.
 
2004 gab es einen weiteren Versuch, eine Volksabstimmung zu erwirken. Es ging um den Verfassungsentwurf für die Europäische Union.
 
Der damalige Außenminister Joseph Fischer lehnte das ab. Er lasse sich seine EU-Verfassung nicht vom Volk zerschmettern, sagte er.
 
Und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder behauptete: Das Grundgesetz verbiete Volksabstimmungen.
 
Wir alle wissen, dass das so nicht stimmt.

7. 

Das alles ist Geschichte, Aber die letzte Geschichte hält noch eine besondere Erzählung parat.
 
Der bundesweit agile Verein „Mehr Demokratie“ arrangierte sich damals mit einer Kleinstadt in der Eifel. Dort stimmten die Bürgerinnen und Bürger über die EU-Verfassung ab, wenn auch unverbindlich.
 
Sie machten sich dafür schlau, schlauer als anderswo. Politiker warben für ihre Positionen, intensiver als anderswo.
Und die Beteiligung war hoch, höher als bei Wahlen sonst.
 
Die Bürgerinnen und Bürger dort fühlten sich einbezogen, ihre Meinung war gefragt und sie entschieden sich souverän.
 
Sie demonstrierten alle Positiveffekte, die mit direkter Demokratie verbunden sein können. Und sie straften Joseph Fischer Lügen.
 
Denn sehr zum Leidwesen meiner Partei votierten diese Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich für die EU-Verfassung.

8. 

Nun noch mal grundsätzlich:
 
In Artikel 20 Grundgesetz heißt es:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen (...) ausgeübt.“
 
Die Bürgerinnen und Bürger sind der Souverän, niemand sonst.
Das bleiben sie auch, wenn sie eigene Entscheidungen durch Wahlen an so genannte Volksvertreter delegieren.
 
Wir Abgeordnete vertreten sie, aber wir ersetzen sie nicht als Souverän. Deshalb müssen die Bürgerinnen und Bürger jederzeit die Möglichkeit haben, delegierte Entscheidungen zurückzuholen oder selbst zu treffen.
 
Das ist der urdemokratische Sinn von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden. Auch deshalb unterstützt DIE LINKE das.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

[als Video]

 

 

14.6.2013
www.petra-pau.de

 

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