Aktuelle Notiz: Verfassungsschutz oder Demokratie

von Petra Pau
Berlin, 30. November 2012

1. 

Nahezu alle Experten sind sich einig: Im Zentrum des Versagens der Sicherheitsbehörden in der so genannten NSU-Nazi-Mordserie agierten die Ämter für Verfassungsschutz. Deshalb stehen diese auch - weit über DIE LINKE hinaus - in der Kritik. Doch die Alternativen unterscheiden sich gravierend. Was nicht anders zu erwarten war.

2. 

Die IMK, sprich Innenminister-Konferenz, suchte Mitte November 2012 die Offensive. Von einer „neuen Philosophie“ ist die Rede, um „neues Vertrauen“ zu werben. Neben dem Kerngeschäft als Nachrichtendienst müsse sich der Verfassungsschutz künftig stärker inmitten der Gesellschaft als demokratischer „Dienstleister“ verankern.

3. 

Wörtlich heißt es in dem Thesen-Papier der Innenminister weiter: „Der Verfassungsschutz ist eine Institution des demokratischen Rechtsstaates und maßgebliche Bewertungsinstanz für Extremismus.“ Institution der Demokratie? Instanz der Maße? Nichts von beidem hält bürgerrechtlichen und demokratischen Ansprüchen stand. Im Gegenteil!

4. 

Der Verfassungsschutz ist ein Inlandsgeheimdienst. Punktum! Daran ändert auch die nette Umschreibung „Nachrichtendienst“ nichts. Zum Wesen aller Geheimdienste gehört, dass sie sich öffentlicher Kontrolle entziehen, auch jedweder parlamentarischen. Sie agieren geheim, sie bleiben im Dunkeln, sie sind somit demokratiefremd.

5. 

Gelegentlich wird versucht, diese Crux aufzubrechen. Wolfgang Neskovic (DIE LINKE) und Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen) stellten dazu neue parlamentarische Kontroll-Modelle zur Diskussion. Den ehernen Widerspruch zwischen transparent und geheim aber können auch sie nicht aufbrechen. Er bleibt unauflöslich.

6. 

Schon ihr staatliches Geheiß setzt die Ämter für Verfassungsschutz ins Kontra zum Grundgesetz. Sie sollen keine Straftäter jagen. Das ist allein Auftrag der Polizei. Der politische Auftrag für den „Verfassungsschutz“ besteht darin, Haltungen zu sanktionieren, Meinungen zu zensieren, Andersdenkende zu brandmarken.

7. 

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden!“ (Rosa Luxemburg) Laut Bundesverfassungsgericht ist in einer Demokratie „jede Meinung, auch die von etwa herrschenden Vorstellungen abweichende, schutzwürdig.“ Auch Internationale Konventionen über Menschen- und Bürgerrechte unterstreichen das ausdrücklich.

8. 

Mithin agiert der Verfassungsschutz klar im Widerspruch zu Artikel 5 Grundgesetz, zur verbrieften Meinungsfreiheit aller Bürgerinnen und Bürger. Meinungen können dumm, schlimm oder furchtbar sein. Aber sie sind frei: zur politischen Auseinandersetzung, nicht aber zur staatlichen Verurteilung oder behördlichen Verfolgung.

9. 

Nein: Nicht das Versagen bei der NSU-Nazi-Mordserie und nicht ihr Eifer bei der Beobachtung von LINKEN begründen meine Ablehnung des „Verfassungsschutzes“. Allerdings verstärken sie meine Ohnehin-Zweifel an Sinn und Fromm dieser Inlandsgeheimdienste. Sie sind ein Relikt des Kalten Krieges, überholt und überflüssig.

10. 

Der Verfassungsschutz schützt keine Verfassung, er ist ihr vielmehr wesensfremd. Er ist zwar per Grundgesetz vorgesehen, aber nicht als Geheimdienst. Als solcher ist er nicht kontrollierbar, nicht reformierbar und daher schlicht abzuschaffen. Das wäre kein Verlust für die Sicherheit, sondern ein Gewinn für eine bürgerrechtliche Demokratie.
 

 

 

30.11.2012
www.petra-pau.de

 

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