Aktuelle Notiz: LINKE und Antisemitismus

von Petra Pau
Berlin, 11. Juni 2011

Klarstellung war überfällig

1. 

Die Fraktion DIE LINKE hat einen Beschluss gefasst. Einmütig, hieß es danach. Formal richtig, real falsch. Richtig, weil alle, die abgestimmt haben, dafür waren. Falsch, weil sich etliche Mitglieder dem Votum entzogen hatten. Erneut ging es um das Thema „Antisemitismus“. Und wieder erwies sich die Fraktion als unfähig oder unwillig, ein unmissverständliches gemeinsames Signal zu setzen. Leider!

2. 

Im Kern ging es um drei Punkte: „Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer 'Gaza-Flottille' beteiligen.“ Für alle drei Klarstellungen gab und gibt es Anlässe. Sie wurden innerhalb der Linken gesetzt. Medien haben sie ausgeschlachtet. Was sonst?!

3. 

Bemüht wurde in der Medienschlacht eine „wissenschaftliche Studie“ als Beleg dafür, dass Antisemiten in der Linken Oberhand gewönnen. Verfasst wurde sie durch Samuel Salzborn und Sebastian Voigt. Die CDU/CSU adelte sie im Bundestag als „Beweis“. Das Niveau der Studie rangiert unterm Keller: pures parteipolitisches Plumps. Aber die Autoren konnten ihren Mist mit Fakten düngen. Das bleibt ein linkes Problem.

4. 

Mitglieder der Linkspartei hatten zum Boykott von Produkten aus Israel aufgerufen. Mitglieder der Linkspartei hatten Veranstaltungen unterstützt, auf denen das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wurde. Mitglieder der Linkspartei hatten für eine Teilnahme an der „Free-Gaza-Flotte“ 2011 geworben, auch Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. Das alles sind keine Erfindungen „böser-bürgerlicher Medien“. Sie brauchten nur zugreifen.

5. 

Zu allen drei Punkten kann man unterschiedlicher Meinung sein. Auch zu der schwierigen Frage, ab wann die berechtigte und nötige Kritik an der Politik Israels antisemitische Züge annimmt. Aber diese Debatte wurde in der Fraktion nicht geführt. Sie wurde vor allem von jenen verweigert, die sich auch der Abstimmung entzogen. Umso vehementer suchen sie nun die Öffentlichkeit für ihre Sicht. Zum Teil bösartig.

6. 

Ich habe in einer „Aktuellen Notiz“ noch nie Innereien der LINKEN aufgerufen. Aber es gibt Schmerzgrenzen. Sie sind überschritten. So wird öffentlich behauptet, der Beschluss der Fraktion, also auch meiner, sei eine Ausgeburt innerer Machtkämpfe „Partei-Rechter“ gegen „Partei-Linke“, unsolidarisch, diktatorisch und regierungsgeil, ein Kotau vor imperialistischen Kampagnen, ein Teufels Werk der Spaltung. Oh je!

7. 

Mein Selbstverständnis, warum ich mich gegen jedweden Antisemitismus - woher er auch immer gespeist wird- engagiere, hat nichts mit Medien, nichts mit Macht, nichts mit Regieren zu tun. Antisemitismus ist eine menschenfeindliche Ideologie. Und deshalb lehne ich alles ab, was den nachweislich in der Gesellschaft latenten Antisemitismus befördern kann. Allemal, wenn zweideutige Signale aus meiner eigenen Partei kommen.

8. 

Klar, kein Linker wird sich als Antisemit bezeichnen. Die Geschichte der Linken, in der Sowjetunion, auch in der DDR, spricht leider eine andere Sprache, die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland übrigens auch. Noch in den 1980er Jahren wurden in Süd-West-Regionen auf Oster-Volksfesten freudig Stroh-Puppen verbrannt, an Juden statt. Das Thema taugt schlechtweg nicht für Ost-West-Auseinandersetzungen.

9. 

Aber jede(r) Linke muss sich fragen, was sein Tun bewirkt? Ein Beispiel: Vor zwölf Jahren wollte die SPD-Grünen-Regierung die doppelte Staatsbürgerschaft einführen. Ich war dafür. Die Union war dagegen. Roland Koch beorderte seine CDU-Jünger auf die Straße. Sie sollten Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sammeln. Mit Zuspruch: „Kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“

10. 

Roland Koch galt als Polit-Profi. Mit der Behauptung, er sei ein Rassist, würde ich vor jedem Gericht verlieren. Aber er hat Rassisten ein Podium geboten, auf dem sie sich austoben konnten. Die Empörung dagegen war groß und berechtigt. Insbesondere die Linke (PDS) warf ihm vor, ausländerfeindliche Ressentiments zu schüren. Auch ich tat es. Weil: Es kommt immer auch auf die Wirkung an, gewollt oder geduldet.

11. 

DIE LINKE in Bremen hat öffentlich eine Boykott-Aktion für Waren aus Israel unterstützt. Sie wähnt sich damit auf korrektem Terrain. Politisch ist das allerdings kein Deut besser, als die Roland-Koch-Geschichte. Die Assoziation, „Kauft nicht bei Juden!“, liegt nah, allemal in Deutschland. Entweder sie übersahen, was ihre Aktion auslösen könnte. Das wäre kurzsichtig. Oder sie nahmen es bewusst in Kauf. Das wäre antisemitisch.

12. 

Ein Mitglied der Linksfraktion sprach solidarisch auf einem Kongress palästinensischer Initiativen. Sie trug einen Schal mit Nah-Ost-Karte. Darauf war Israel getilgt. Mag sein: ein Versehen, ein Lapsus. Aber die Botschaft war eindeutig. Aus diesen und weiteren Anlässen war es überfällig, dass die Fraktion DIE LINKE mit Mehrheit klarstellt, was von ihr getragen wird und was nicht. Das ist geschehen. Endlich.

13. 

Seither ist von einem „Maulkorb“ und von „Denkverboten“ die Rede. Was geht in Köpfen vor, die das behaupten? Jeder kann weiterhin einen Boykott israelischer Waren richtig finden. Jede kann sagen, eine Einstaatenlösung wäre auch eine Option im Nah-Ost-Konflikt. Sie können es aktuell nur nicht mehr namens der Fraktion DIE LINKE. Anderenfalls hätten beteiligte Linke tatsächlich ein Demokratie-Problem. Sie!

PS: Am 25. Mai 2011 diskutierte der Bundestag in einer „aktuellen Stunde“ über „Antisemitismus in der Linken“. In der Debatte wurde ich mehrfach angegriffen, warum ich feige abgetaucht sei. Aus guten Gründen war ich in Baden-Württemberg, habe die Debatte aber im Fernsehen verfolgt und mich besorgt gefragt: Was halten wohl Jüdinnen und Juden in Deutschland von diesem Parteien-Gezänk? Ich habe mich gegrämt und geschämt. Für fast alle.

 

 

11.6.2011
www.petra-pau.de

 

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