Es geht um Menschenrechte

Bundestag, 24. März 2011, „Gleichstellung von Sinti und Roma“
Rede von Petra Pau

1. 

Im Dezember vorigen Jahres wurde hier in Berlin der Europäische Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma verliehen. In ihrer Laudatio verwies Frau Prof. Dr. Rita Süßmuth auf die zahlreichen Diskriminierungen von Sinti und Roma europaweit und sie mahnte: „Es geht nicht um Minderheitenrechte, sondern um Menschenrechte!“
 
Diesen Gedanken will ich hier gerne einführen. Wenn wir über die „Gleichstellung von Sinti und Roma in Deutschland und Europa“ diskutieren, dann reden wir nicht primär über Sinti und Roma. Wir debattieren vielmehr über Bürger- und Menschenrechte in Deutschland und in der Europäischen Union. Und da gibt es eklatante Defizite.

2. 

Vor knapp einem Jahr war ich in Ungarn, ebenso DFB-Chef Dr. Theo Zwanziger und Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Neo-Nazis hatten ein Roma-Haus in Brand gesteckt. Als der Familienvater mit seinem 5-jährigen Sohn dem Inferno entkommen wollte, wurden beide erschossen, weil sie Roma waren.
 
In Italien und Frankreich wurden Sinti und Roma isoliert oder des Landes verwiesen. Auch in der Slowakei, in Bulgarien und Rumänien werden Sinti und Roma wie Aussätzige behandelt. Sie sind de jure EU-Bürgerinnen und Bürger. De facto aber werden sie pauschal ausgegrenzt.

3. 

In meinem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf gibt es eine Gedenkstätte. In Berlin fanden 1936 Olympische Spiele statt. Die Reichshauptstadt wurde von „Zigeunern“ gesäubert. Die meisten Sinti und Roma, die damals in Marzahn interniert waren, wurden später in KZ-Gaskammern ermordet.
 
Wir haben kein Recht, diese deutsche Geschichte zu vergessen, aber alle Pflicht neuen Anfängen zu wehren. Dabei spreche ich nicht nur von der extremen Rechten. Ausgrenzung beginnt in der Mitte der Gesellschaft.

4. 

Sinti und Roma werden noch immer oder schon wieder diskriminiert, bei der Bildung, bei der Gesundheit, beim Arbeiten, beim Wohnen, sozial, kulturell, rechtlich. Darauf macht der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufmerksam. DIE LINKE unterstützt ihn weitgehend.
 
Überfällig ist auch, dass die EU eine gemeinsame „Strategie zu Verbesserung der Lage der Roma“ verabschieden will. Aber dieses EU-Papier entlässt keinen Staat aus seiner nationalen Verantwortung, auch Deutschland nicht. Das ist der Kern, über den wir zu diskutieren haben.

5. 

Die Bundesrepublik Deutschland will weiterhin hier lebende und Schutz suchende Sinti und Roma in den Kosovo abschieben. Dort sind sie dem Ungewissen und Schlimmeren ausgeliefert.
 
DIE LINKE hält das im doppelten Sinn für unmoralische: gegenüber der Geschichte und gegen über den Menschen, die davon betroffen sind.

6. 

Lassen Sie mich zum Schluss ganz persönlich eine Bitte äußern: Die heutige Debatte ist bei allen Differenzen vielleicht gibt es kleine Unterschiede sehr verantwortungsvoll geführt worden.
 
Lassen Sie die Debatte am heutigen Nachmittag und die folgenden Beratungen, in der auch die Anträge der anderen Fraktionen diskutiert werden, nicht folgenlos bleiben.
 
Es geht nicht darum, dass wir diesen Antrag unverändert beschließen, sondern darum, dass wir uns um die Bürger- und Menschenrechte auch dieser Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union kümmern und ihnen helfen, diese Rechte wahrzunehmen. Danke schön.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

[als Video bei YouTube]

 

 

24.3.2011
www.petra-pau.de

 

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