Das Verhältnis „Deutschland - Israel“ wird immer ein besonderes bleiben

Rede von Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin, auf der „Policy Conference“ der „European Friends of Israel“
Paris, 6. November 2008

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Ich beginne mit einer guten Botschaft. In der Bundesrepublik Deutschland fanden in diesem Jahr Tausende Veranstaltungen aus Anlass „60 JAHRE Israel“ statt: in Stadt und Land, in Ost und West, in Rathäusern und in Kirchen, auf Volksfesten und bei Staatsakten, mit politischen Foren und mit multikulturellen Veranstaltungen. Das gesellschaftliche Engagement dafür ist vielfältig und groß, bei jung und alt.

Die schlechte Botschaft: Antisemitismus ist nach wie vor ein akutes Problem, und zwar mitnichten nur am rechten Rand, sondern inmitten der Gesellschaft. Jüdische Einrichtungen müssen noch immer besonders geschützt werden - Synagogen, Kindergärten, Schulen. Umso dankbarer bin ich, dass es trotzdem wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt. In der NS-Zeit sollte es ausgerottet werden. Nun erblüht es von neuem.

Gelegentlich wird mir gesagt: Antisemitismus gibt es seit langem und überall. Das sei nun mal so. Außerdem, so höre ich, nähre Israel mit seiner Politik gegenüber den Palästinensern einen neuen Antisemitismus. Ich möge also nicht naiv sein. Das bin ich bestimmt nicht. Zumal: Auch ich habe Kritik an der Politik der Regierung Israels.

Nur Dreierlei werde ich nicht tolerieren. Erstens: Der Holocaust war ein einzigartiges, unvergleichbares Verbrechen. Er darf nicht relativiert werden. Zweitens: Wenn es anderswo auch oder gar mehr Antisemitismus gibt, dann macht das den deutschen nicht besser. Und drittens: Antisemitismus ist keine politische Kritik, sondern eine menschenverachtende Ideologie.

Nun geht es auf dieser Pariser Konferenz um die Frage, wie die Zusammenarbeit der EU mit Israel und Israels mit der EU erweitert werden kann. Alle, die ich vorab um Rat suchte, sagten mir: Viel wichtiger als neue Vorhaben sei, dass die bestehenden Programme mit größerer Qualität und mit höherer Wirksamkeit umgesetzt werden.

Dabei ist die Palette schon jetzt erfreulich breit. Sie reicht von gemeinsamen Anstrengungen zur Lösung des Nah-Ost-Konflikts über ambitionierte Vorhaben in Wissenschaft und Forschung bis hin zum wechselseitigen Austausch von Jugendlichen zum besseren Verstehen der jeweils anderen Länder und Kulturen.

Vor drei Tagen hat übrigens die Stiftung „Deutsch-Israelisches Zukunftsforum“ seine Arbeit aufgenommen. Sie wird innovative Vorhaben fördern und dabei insbesondere jüngere Menschen in die Gestaltung der bilateralen Beziehungen einbeziehen. Die konstituierende Sitzung wurde vom deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier eingeleitet.

Im Vorfeld dieser Konferenz kam mir plötzlich eine einfache Frage in den Sinn: Was erfährt eigentlich ein ganz normaler Deutscher durch die ganz alltäglichen Medien über Israel? Mein Eindruck ist: Er erfährt so gut wie nichts. Und wenn doch, dann entweder im Rückblick auf den Holocaust oder aktuell über den Nah-Ost-Konflikt. Mehr nicht.

Das ist sicher wichtig, aber das ist viel zu wenig. Israel und das Leben dort sind vielfältiger, bunter und widersprüchlicher. Und deshalb ist es gut, dass demnächst auch Studierende aus Augsburg und Haifa zum Abschluss ihres „Deutsch-Israelischen Jahres“ die jeweils andere Partner-Universität besuchen und das Leben dort so aus eigener Anschauung kennen lernen.

Von meinem Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem weiß ich auch, dass ähnliche und ebenso vereinbarte Austausch-Programme für Schülerinnen und Schüler noch viel zu wenig genutzt werden. Damit komme ich zu einem Problem, vor dem Israel und Deutschland gemeinsam stehen. Wir brauchen eine zeitgemäße Erinnerungskultur.

Die Jugendlichen von heute sind nicht mehr die Kinder der Holocaust-Opfer oder der Holocaust-Täter. Es sind nicht mal mehr die Enkel, es sind die Ur-Ur-Enkel. Sie haben einen ganz anderen Zugang zur Geschichte, als viele von uns. Und es gibt immer weniger Zeitzeugen, die authentisch und bewegend über die Nacht des Faschismus berichten können.

Die Geschichte entfernt sich. Also muss sie zeitgemäß wach gehalten werden. Imre Kertész, Auschwitz-Überlebender und Literatur-Nobell-Preisträger sagte im Bundestag zu Recht: Vor dem Holocaust war der Holocaust undenkbar. Nun ist er geschehen und nicht mehr undenkbar. Und so müssen wir gemeinsam das denkbare Undenkbare verhindern.

Kürzlich besuchte ich eine Wander-Ausstellung der Anne-Frank-Stiftung. Sie ist ein Angebot für 14-Jährige. Viele Schulklassen besuchen sie und sie werden dort von engagierten Partnern im Abitur-Alter empfangen. So lernen sie das Schicksal der gleichaltrigen Anne Frank kennen und im Disput unter Jugendlichen, warum Demokratie von Zivil-Courage lebt.

Als linke Politikerin aus der Bundesrepublik Deutschland betone ich:
Das deutsch-israelische Verhältnis wird immer ein besonderes bleiben. Das ist der einmaligen Geschichte geschuldet und das darf auch nicht einfach normalisiert werden. Und genau deshalb habe ich ein besonderes Interesse daran, dass diese Beziehungen besonders intensiv sind.

Bei alledem gibt es aus meiner Sicht drei Ebenen. Die Beziehungen auf staatlicher Ebene, auch im Rahmen der EU. Die Beziehungen auf gesellschaftlicher Ebene, also durch die Zusammenarbeit von Organisationen oder Institutionen. Und die individuellen Beziehungen durch möglichst zahlreiche persönliche Begegnungen, hie und da.

Gleichwohl will ich abschließend noch einmal hervorheben: Der ungelöste Nah-Ost-Konflikt ist eine gefährliche Belastung für alle - für Israel, für Palästinenser, für Menschen in der Region, für die EU und für die Welt insgesamt. Die Lösung des Nah-Ost-Konfliktes bleibt daher auch eine zentrale Herausforderung für die Partnerschaft „EU und Israel“.

Deshalb hoffe ich, dass alle Beteiligten und Betroffenen die Kraft und den Mut aufbringen, endlich den gordischen Knoten zu durchschlagen. Es muss einen lebensfähigen palästinensischen Staat und ein sicheres Israel geben. Das geht nur im Rahmen des Völkerrechts. Und das kann nur miteinander gelingen und nie gegeneinander. In dieser Hoffnung wünsche ich allen Bürgerinnen und Bürgern Israels im 60. Jahr seiner Gründung alles Gute!
 

 

 

6.11.2008
www.petra-pau.de

 

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