Die Sicherheits-Architektur attackiert die Gesellschafts-Architektur

Konferenz „Gesamtstaatliche Sicherheit“ vom Berliner Forum Zukunft des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik ,
Statement von Petra Pau zu „Neue Sicherheits-Architektur - Chancen und Risiken“,
Berlin, 8. Dezember 2006

1. 

Erstens danke ich für die Einladung. Ich bin ihr gern gefolgt. Zweitens werde ich als LINKE andere Akzente setzen. Ich nehme an, Sie erwarten oder befürchten das auch.
Allerdings schicke ich voraus: Ich spreche hier nicht, damit die Konferenz einen farbigen Kontrapunkt fürs Protokoll bekommt. Meine Bedenken sind ernst gemeint und ich halte sie für substanziell.
 
Die Rede ist von einer neuen Sicherheitsarchitektur. Der Begriff geistert seit Jahren durch die Debatten. Er wird spätestens seit dem 11. 9. 2001 beschworen. Seine Berechtigung wird als Axiom gesetzt.
Ein Axiom ist bekanntlich etwas, was sich selbst belegt und keiner weiteren Beweisführung bedarf. Letztlich ein Selbstläufer, dem man sich anzuschließen hat. Ich tue es ausdrücklich nicht.

2. 

Wenn von einer neuen Sicherheitsarchitektur die Rede ist, dann stellt sich natürlich die Frage: Was unterscheidet die neue von der alten? Worauf fußte die alte und worauf fußt die neue?
 
Die nahe liegende Antwort lautet: Auf unterschiedlichen Analysen über Quellen von Unsicherheiten und Ursachen für Gefahren, auf die man folglich auf neue Weise reagieren müsse. Das kann sein.
Aber das ist nicht der einzige Bezugspunkt. Es gibt noch zwei weitere, die ebenso viel Augenmerk verdienen, wie die Gefahrenanalyse: Das Grundgesetz als Fundament und die Zweckmäßigkeit des Neubaus.
Mit diesen will ich mich befassen, weil ich finde und auch im Bundestag immer wieder erlebe, dass diese beiden Prüfsteine unterbelichtet sind - aus Sorglosigkeit oder mit Vorsatz.

3. 

Das Grundgesetz beschreibt den Rahmen für eine Architektur der Gesellschaft. Es wurde aus guten Gründen so gesetzt, wie es gesetzt wurde. Es ist daher mehr als eine Sicherheitsarchitektur.
Deshalb ist mein primärer Bezugspunkt das Grundgesetz. Es sollte übrigens im Zuge der deutsch-deutschen Vereinigung per Volksabstimmung in den Rang einer Verfassung erhoben werden.
 
Das wurde verhindert und deshalb merke ich nur nebenbei an: Versuche der Politik, das eigene Grundgesetz gering zu schätzen, sind so neu nicht. Ich halte das für schlechte Beispiele, für gefährlich zudem.

4. 

Nun will ich versuchen, Grundsätze der neuen Sicherheits-Architektur mit Grundsätzen des Grundgesetzes zu konfrontieren. Das mag einen Einblick in meine prinzipiellen Bedenken geben.
Es werden nämlich substanzielle Grenzen aufgelöst. Zum Beispiel die
• zwischen Landesverteidigung und weltweiten Kriegen;
• zwischen militärischen und polizeilichen Befugnissen;
• und zwischen polizeilichen und geheimdienstlichen Aufgaben.
Die Grenzen waren begründete Lehren aus der Geschichte, insbesondere aus dem Nationalsozialismus. Sie wiegen schwer. Genau deshalb finden sich ja entsprechende Leitplanken gerade im Grundgesetz.
 
Nun erleben wir, wie diese Grundsätze Stück für Stück in Frage gestellt werden. Damit wird die Nachkriegs-Architektur der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt und damit die Bundesrepublik selbst.
Das wiederum, finde ich, kann man nicht allein mit einer veränderten Bedrohungslage tun. Und schon gar nicht als Axiom. Dazu bedarf es einer viel gründlicheren und vor allem gesellschaftlichen Debatte. Die fehlt.

5. 

Zumal: Es geht ja nicht nur um neue sicherheits-politischen und militär-politischen Fragen. Der Rechtsstaat und seine Prinzipien werden namens einer vermeintlicher Sicherheit auf den Kopf gestellt.
Heribert Prantl von der „Süddeutschen“ kommentiert völlig zu Recht: Eine Folge der neuen Sicherheitsphilosophie ist: Jede Bürgerin und jeder Bürger gilt als potentielles Sicherheitsrisiko.
 
Und ich schiebe bewusst ein: Das war die Philosophie des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR. Sie ist gescheitert und das ist gut so. Aber man kann sie nicht verteufeln und zugleich mit ihr liebäugeln.
Der Datenschutzbeauftragten der Bundesrepublik Deutschland kam zu der amtlichen Einschätzung kam: Wir sind längst auf dem Weg zu einem Überwachungsstaat. Ich teile das und das will ich nicht.

6. 

Ich habe vor Wochen die Bundesregierung gefragt, wie viele Datenbanken mit persönlichen und Umfeld-Daten über vermeintliche Kriminelle, Terroristen, Staatsfeinde, „Gefährder“ usw. bereits existieren.
Die Bundesregierung hat detailliert, wenn auch unvollständig geantwortet. Demnach gibt es schon jetzt 160 Dateienbanken mit rund 60 Millionen Datensätzen. Das sind keine Peanuts, das ist bedrohlich.
 
Aber auch das gehört zur neuen Sicherheitsarchitektur. Die Substanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wird verklappt und unterlaufen. Es geht ans Eingemachte.
Deshalb habe ich mich auch einer Sammerklage gegen die Daten-Vorratsspeicherung in Karlsruhe angeschlossen. Die Pressefreiheit und weitere Grundsätze sind gefährdet. Das will ich nicht.

7. 

Ich darf sie alle an das so genannte Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1983 erinnern. Es hat festgestellt: Datenschutz ist Persönlichkeitsschutz. Mehr noch:
Wer nicht mehr Souverän seiner Daten ist, ist nicht mehr souverän. Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist keine Demokratie mehr. Dieses Urteil hat nichts von seiner Bedeutung und Reichweite eingebüßt.
 
Praktisch wird der Datenschutz aber gern als Täterschutz denunziert und Stück für Stück abgebaut. Das ist ein wesentlicher Baustein der neuen Sicherheitsarchitektur. Dazu gehört nun auch die neue Antiterrordatei.
Ich kann mich hier nicht in Details verlieren. Aber prinzipiell sorgt das entsprechende Gesetz dafür, dass alle nur irgendwie verfügbaren Daten mit Sicherheit bei den Geheimdiensten landen. Dagegen bin ich.

8. 

Damit komme ich zu einer weiteren bedenklichen Entwicklung, bei der sich die Grundsätze der neuen Sicherheits-Architektur mit den demokratischen Grundsätzen des Grundgesetzes beißen.
Die Gewichte verschieben sich. Das Fundament sind immer weniger die Bürger als Souverän, sondern immer mehr die Organe des Staates. Diesem Demokratie-Verlust folgt der Demokratie-Verdruss.
 
Auf der einen Seite erleben wir, wie die Innenpolitik und die Geheimdienste als Exekutive immer mehr an Bedeutung gewinnen. Zugleich nimmt der Einfluss der Legislative ab.
Damit meine ich nicht nur das Versteckspiel, dass aktuell in den beiden Untersuchungsausschüssen des Bundstages aufgeführt wird. Auch das dürfte eher ein Fall für das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe werden.

9. 

Ich meine zum Beispiel das so genannte Parlamentsbeteiligungsgesetz. Es regelt das Gegenteil von dem, was der Name suggeriert. Noch gilt die Bundeswehr als Parlamentsarmee. Aber das Parlament ist längst lästig.
Ergo kann die Bundeswehr auch ohne Bundstagsbeschluss in Marsch gesetzt werden. Hinzu kommt: Teile der Bundeswehr, insbesondere die KSK, werden ohnehin der parlamentarischen Kontrolle entzogen.
 
Auf der einen Seite erhalten also die Exekutive, die Geheimdienste und Geheimkommandos immer mehr Befugnisse, auf der anderen schwindet der Einfluss des höchsten repräsentativen Gremiums.
Auch das ist die Folge oder zumindest eine Nebenwirkung der neuen Sicherheitsarchitektur. Und mag auch das Detail noch grundgesetz-konform sein, die Gesamtentwicklung ist es sicher nicht.

10. 

Und nur nebenbei sei hier eingeschoben: BND-Präsident Uhrlau hat diese Woche gemahnt, die aktuelle Debatte über Folter und Foltergeständnisse sei höchst über flüssig. Ich wünschte, es wäre so.
Aber sie wurde nicht von der Opposition eröffnet. Sie wird von den Regierungsbänken genährt. Und außerdem gibt es noch immer berechtigte Zweifel, ob das absolute Folterverbot in der Praxis tatsächlich gilt.
 
Ich hatte zu Beginn meiner Anmerkungen die Frage aufgeworfen, ob sich die neue Sicherheitsarchitektur überhaupt noch mit der Gesellschaftsarchitektur des Grundgesetzes verträgt. Ich will meine Meinung genauso bildlich zusammenfassen, wie seinerzeit Verteidigungsminister Struck: Mein Befund lautet: Das Grundgesetz wird nicht am „Hindukusch“ verteidigt, es wird am „Hindukusch“ entsorgt.

11. 

Und damit komme ich noch kurz zum dritten Bezugspunkt, den ich eingangs erwähnt hatte, zur Zweckmäßigkeit des Sicherheits-Neubaus. Übrigens eine Frage, die bisher niemand schlüssig beantwortet hat.
Dabei rede ich jetzt gar nicht über meine These, wonach der Kampf gegen den Terrorismus gewinnbar ist, ein Krieg gegen den Terrorismus aber nicht. Ich meine die ewige Spannung zwischen Sicherheit und Freiheit.
 
Seit 2001 hat der Staat massiv in verbriefte Bürgerrechte eingegriffen. Zuweilen hat das Bundesverfassungsgericht ein Stopp-Zeichen gesetzt. Aber grundsätzlich war und ist es noch immer so. Das war bei den so genannten Otto-Paketen so, den Sicherheitsgesetzen, die nach dem damaligen Bundesinnenminister Schily benannt wurden. Das ist nun, in neuer Besetzung, nicht anders.

12. 

Wenn aber nun schon namens der Sicherheit Bürgerrechte und Demokratie abgebaut werden, dann muss man sich doch wenigstens nach einer gewissen Zeit fragen: War das wirklich hilfreich und berechtigt?
Eine Antwort auf die Frage hatte die rot-grüne Bundesregierung versprochen. Aber bis heute gibt es keine belastbare Prüfung. Und trotzdem wird draufgesattelt. Ich halte das für unverantwortlich.
 
Und deshalb verstehen Sie vielleicht, warum ich der neuen Sicherheitsarchitektur und seinen Architekten keinen Beifall zolle.
Sie halten den Vergleich mit dem Grundgesetz nicht aus:
• Demokratie wird abgebaut;
• Bürgerrechte werden ausgesetzt;
• rechtsstaatliche Prinzipien werden auf den Kopf gestellt;
• Menschenrechts-Normen werden relativiert.
Das alles folgt der Logik eines militärischen Ausnahmezustandes, der zur gesellschaftlichen Regel erklärt wird. Ich halte daher die neue Sicherheitsarchitektur für keine Lösung, sondern für ein ernstes Problem.
 

Abschließend:
 
Ich habe alle internationalen Verflechtungen - ob Nato, EU oder UNO - ausgelassen. Sie gehören natürlich zum Thema. Ich habe sie im Blick. Was nicht heißt, dass ich sie - so, wie sie sind - teile. Mitnichten!
Und werfen Sie mir bitte nicht vor, ich würde Gefahren für die Sicherheit, etwa durch Terroristen, gering schätzen. Ich bin weder eine Verschwörungs-Theoretikerin, noch eine Selbst-Mörderin.
 
Und selbstverständlich haben die Bürgerinnen und Bürger ein Recht auf Sicherheit und der Staat eine Pflicht, dafür zu sorgen. Aber er hat kein Recht, eine Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger in Frage zu stellen.
Man kann nicht vorgeben, etwas zu verteidigen, was man selber in Frage stellt und gefährdet. Genau das aber ist der Widersinn der neuen Sicherheitsarchitektur. Und daraus folgt mein Widerspruch.
 

 

 

8.12.2006
www.petra-pau.de

 

Übersicht
Bundestag

 

 

Lesbares

 

Seitenanfang

 

Startseite