Kurzschlüsse und Fehlanalysen stärken Rechtsextremisten

Engagement gegen Rechtsextremismus und Antirassismus in der BRD
Beitrag von Petra Pau im Rosa-Luxemburg-Club Niederelbe
31.Oktober 2006, Buxtehude

1. Permanent um Mitte kämpfen

Prof. Dr. Christoph Butterwegge (Uni Köln) hat mal einen Aufsatz zum Thema Rechtsextremismus mit folgender Einschätzung begonnen:
Zitat:   „Rechtsextremismus“ ist ein Modethema, das regelrechte
          Konjunkturen und Diskurszyklen kennt, die von seiner
          Tabuisierung zur Dramatisierung, von seiner Bagatellisierung
          zur Skandalisierung, von seiner Verdrängung zur
          Verabsolutierung wechseln.

Diese Einschätzung kann ich inzwischen aus eigener Erfahrung teilen. Bitte überlegen Sie, wann der Rechtsextremismus zuletzt ein bundesweit prominentes Thema war. Das war 2000 beim so genannten Aufstand der Anständigen, dem dann alsbald die Zuständigen abhanden kamen.

Seither hat es keine erstzunehmende Debatte mehr über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gegeben und natürlich auch keine, was dagegen zu machen sei. Diese Fehlstelle betrifft insbesondere den Bundestag.

Dies ist umso fragwürdiger, da Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus keine temporäre Erscheinung sind. Es gibt sie permanent und zwar nicht nur am rechten Rand, sondern inmitten der Gesellschaft.

Untersuchungen besagen, 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung sind anfällig für nationalistische, rassistische oder antisemitistische Vorbehalte. Ressentiments, die jederzeit abrufbar und aktivierbar sind - in Ost und West. Ich illustriere das an zwei Beispielen.

Beispiel 1:
1999 wollte Rot-Grün die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen. Ich halte sie nach wie vor für überfällig und die PDS hatte auch damals das Anliegen nach Kräften unterstützt. Im Gegensatz zu den Unions-Parteien.

Roland Koch und die CDU-Hessen, also Deutschland-West, starteten damals eine Kampagne mit Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft - mit Riesenzulauf. Und viele kamen mit der Frage an die CDU-Stände: „Kann man hier gegen die Kanaken unterschreiben?“

Beispiel 2:
Es spielt in Berlin-Ost, konkret in Pankow-Heinersdorf. Dort will eine muslimische Gemeinde aktuell eine Moschee bauen. Dagegen regt sich massiver Widerstand. Eine Bürgerbewegung hat sich zum Protest formiert, vornweg der örtlichen Pfarrer. Die NPD marschiert kräftig mit.

In Berlin war gerade Wahlkampf und die CDU hatte sich einen neuen Spitzenkandidaten zugelegt: Friedbert Pflüger. Der solidarisierte sich flugs mit den empörten Bürgerinnen und Bürgern. „Wenn die keine Moschee wollen, dann sollte man auch keine bauen.“ So Pflügers Empfehlung.

Wenn das ein besorgter Bürger sagen würde, hätte ich dafür sogar Verständnis. Jedoch nicht, wenn das ein hoch dotierter Politiker sagt. Denn was hat Pflüger den Bürgerinnen und Bürgern eigentlich signalisiert? „Ihr wollt, dass in eurem Kiez das Grundgesetz ausgesetzt wird, zum Beispiel Artikel 4 (2) ‚ungestörte Religionsausübung'. Bitte sehr: Ich stehe euch bei.“

Dieselben Politiker unterziehen Migrantinnen und Migranten in Sachen Grundgesetz peinlichster Gewissenprüfungen. Die dümmlichste stammt übrigens aus Baden-Württemberg. Dort wurde ein Fragebogen entwickelt, wonach es Muslima schau finden sollen, wenn ihr Sohn schwul ist, und Muslime sich freuen sollen, wenn sie endlich eine Frau als Chefin haben.

Nach diesem Schwaben-Muster a lá CDU-Oettinger müsste Benedikt XVI. sofort wegen Verfassungsfeindlichkeit die Deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden. Denn der Papst aus Bayern würde nie eine Frau über sich dulden und über eine lesbische Tochter darf er sich wohl auch nicht freuen.

Daher meine erste Position:
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind weder ein Konjunktur-, noch ein Randthema. Es geht um den Alltag, um die Mitte der Gesellschaft und allzu häufig auch um die so genannten politischen Eliten.

Wer daher den rechtsextremistischen Rand bekämpfen will, muss um die Mitte der Gesellschaft ringen. Nicht gegen sie, sondern um sie, nicht irgendwann, sondern permanent, nicht gewalttätig, sondern hartnäckig.

Deshalb habe ich dieser Tage erklärt: „Uns hilft kein Aufstand der Anständigen mehr. Wir brauchen einen Marathon aller Demokraten.“

2. Mit Sachkenntnis Zivilgesellschaft stärken

Wenn gegen den Rechtsextremismus etwas unternommen wird, dann häufig sporadisch und zugleich sehr eingeengt. Mal wird er vornehmlich als Jugendproblem betrachtet und damit als pädagogische Herausforderung, mal als Gewaltphänomen und daher als Fall für die Innenpolitik, mal als Freizeitphänomen und daher als kommunaler Betreuungsanspruch, mal als NPD-Problem und damit als Fall für die Justiz.

Ich sage gleich: Auch ich habe keine belastbare Patentantwort, was zu tun ist. Aber solange die Politik und die Gesellschaft eingeengt und sporadisch agiert, so lange gibt es keine Aussicht auf Erfolg. Dazu gehört, dass die Analyse halbwegs stimmen muss. Und da liegt das meiste im Argen.

Auch das will ich mit zwei Beispielen illustrieren:

Beispiel 1:
Häufig wird unterstellt: Arbeitslos plus hoffnungslos gleich rechtsextrem. Für diese „Unterschicht“-These gibt es keine ernsthaften Befunde. Im Gegenteil: Analysen zu rechtsextremistischer Gewalt zeigen: Die Täter stehen zumeist mit beiden Beinen im Leben und im Beruf.

Soziologische Untersuchungen spiegeln viel größere Probleme. Darauf verweist nicht nur Dr. Birgit Rommelspacher (Professorin an der Alice-Salomon-Fachhochule in Berlin). Demnach besteht eine besondere Affinität zwischen rechtsextremen Denkmustern und Wertvorstellungen, die sich an Geld, Aufstieg und Status, an Stärke und Überlegenheit orientieren.

Damit sind wir aber mitten im Arbeitsleben. Und mitten in der Politik: Menschen werden nach ihrer Nützlichkeit, nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit sortiert. Wir kennen das aus Debatten um die Migrations- und Asylpolitik, aber auch in der Sozialpolitik. Zum Beispiel, wenn Langzeitarbeitslose als Sozialschmarotzer abgestuft werden.

Vielleicht erinnern sie sich an Florida-Rolf. Ein deutscher Arbeitsloser. Er hat Sozialhilfe genutzt und sich damit im warmen Süden der USA niedergelassen. Die BILD-Zeitung sprang auf und noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurde so schnell ein Gesetz geändert, um diesen „Sozialmissbrauch“ künftig und für alle zu verhindern.

Übrigens: Wäre Florida-Rolf in Florida geblieben, anstatt ihn nach Deutschland heim zu schleppen, dann hätte die Agentur für Arbeit wahrscheinlich Heizkosten für ihn gespart. Aber so weit denkt man selten, bei einer flink gestarteten Kampagne gegen „Sozial-Schmarotzer“.

Beispiel 2:
Ähnlich instrumentell und irreführend geht es zuweilen in der politischen Wissenschaft zu. Ich erinnere nur an die Totalitarismus-Theorie. Ein aktiver Verfechter ist Eckhard Jesse (Uni Chemnitz). Ein Ausfluss dieser Theorie ist die Gleichsetzung von Rechts und Links. Beide würden das herrschende System in Frage stellen und die Demokratie gefährden. Diese These wird insbesondere von den Unions-Parteien gern genommen.

Sie erinnern sich vielleicht an den aktuellen Streit im Bundestag um Bundesfördermittel für Initiativen, die sich vor Ort für Demokratie und Toleranz engagieren. Sie umfassten bisher 19 Millionen Euro. Bundesfamilien-Ministerin van der Leyen (CDU) wollte sie umwidmen. Sie sollten gegen alle Extremismen, also auch gegen Links eingesetzt werden.

Das konnte verhindert werden, und dafür will ich ausnahmsweise und ausdrücklich mal meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD loben. Aber zurück zum theoretischen Ansatz. Prof. Richard Stöss (FU Berlin) verweist auf einen fundamentalen Denkfehler der Totalitarismus-Forscher. Er meint:
„Der Rechtsextremismus strebt die Beseitigung der Demokratie, der Sozialismus jedoch die Abschaffung des Kapitalismus an.“

Sein logischer Schluss: Rechtsextremismus ist prinzipiell anti-demokratisch. Die Linke nicht, sofern sie die sozialistische Idee nicht im Sinne einer Diktatur missbraucht. Diese Differenzierung teile ich ausdrücklich.

Daher meine zweite Position:
Man kann den Rechtsextremismus weder ad hoc, noch mit eindimensionalen Strategien bekämpfen und schon gar nicht mit falschen Ansätzen.

Und so lange der Rechtsextremismus vorwiegend im Innenressort angesiedelt wird, also bei der Polizei, bei den Geheimdiensten und bei der Justiz, so lange werden wir keinen Erfolg haben.

Deshalb ist meine aktuelle Forderung im Bundestag: Wir brauchen eine partei- und ressortübergreifende Strategie, die sich endlich auf Sachkenntnis stützt und die Zivilgesellschaft stärkt.

3. Keine völkischen Ratschläge von „Links“

Seit rund zehn Jahren fragt die PDS und nunmehr die Fraktion DIE LINKE nach der Zahl der registrierten rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten. Ich habe diese Frageserie auch fortgesetzt, als ich mit Gesine Lötzsch zu zweit im Bundestag war. Dadurch können wir einen langjährigen Trend nachweisen, bundesweit und für die Bundesländer (s. www.petrapau.de).

Aktuell werden laut offizieller Statistik stündlich 1 ½ rechtsextremistisch motivierte Straf- und Tag für Tag 2 ½ Gewalttaten registriert. Die Zahlen stapeln tief, die realen sind erheblich höher und damit auch die Zahl der Opfer rechtsextremistischer Gewalt. In manchen Regionen beherrschen Rechtsextreme inzwischen den ganz normalen Alltag fast total.

Konkret heißt das: Sie bestimmen, wer angesehen oder geduldet wird, wer einzuschüchtern und zu bekämpfen ist. Einer, der es wissen muss, weil er sich seit Jahrzehnten damit beschäftigt, ist der Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner. Er spricht von „Parallelgesellschaften“, die sozial und ideologisch längst völkisch von Rechtsextremen dominiert werden.

„Völkisch“ heißt: Es geht mitnichten nur um Ausländer, was schlimm genug wäre. Es geht gegen alle, die ein anderes Welt- und Menschenbild haben und vertreten: Anderslebende, Andersliebende, Andersdenkende. Alle „Undeutschen“ sind den Rechtsextremen zuwider: weil sie fremd sind, schwul, links, behindert und so weiter. Oder, weil sie Leute sind, die sich für Fremde, Schwule, Frauen oder „andere“ einsetzen.

Ich habe diese verknappte Beschreibung hier eingeschoben, weil ich mich über eine Empfehlung an die NEUE LINKE heftig erregt habe. Der Autor des Artikels sieht sich selbst als Ober-Linker. Ich zitiere aus seiner Abrechnung nach dem Wahl-Debakel der Berliner Linkspartei.PDS:

„Mit Staatsknete wird Multikulti, Gendermainstreaming und die schwule Subkultur gefördert, während die Proleten auf Hartz IV gesetzt werden und sich oft auch keine Kita, kein Schwimmbad und keine warme Wohnung mehr leisten können. Muß man sich wundern, daß die Opfer dieser Politik diesen Betrügern ihre Stimme nicht gegeben haben?“

Weiter zitiert: „Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch gab in der Berliner Runde angesichts des NPD-Erfolges in Mecklenburg-Vorpommern die Kassandra. Schon hört man aus der Linkspartei die Rufe, gerade jetzt dürfe die Bundesregierung keinesfalls die Zuschüsse für die diversen Antifaprojekte kürzen. (...) Den Vormarsch der Braunen wird man so nicht stoppen können.“

Noch immer Zitat: „Mit dem NPD-Spuk wäre es dagegen schnell vorbei, wenn die Linkspartei endlich eine Linkspartei wäre.“ Was laut Elsässer wiederum heißt: „die Würdigung der sozialen Errungenschaften der DDR und die Fundamentalopposition gegen die Hartz-Politik.“

Der Artikel erschien in der Tageszeitung „junge Welt“. Und was empfiehlt Elsässer letztlich? Klassenkampf für Hetero-Deutsche. Ich finde: Das ist nicht links, das ist originär rechts. Und ich kann nur hoffen, dass die Elsässer-Position keine Fürsprecher in der Neuen LINKEN findet.

Ich bin übrigens gerne bereit, für etliche Errungenschaften der DDR zu streiten und ich tue das auch. Ich werbe auch in unserer Bundestags-Fraktion - die übrigens west-dominiert ist - um Weitsicht. Aber das Werben für DDR-Errungenschaften ist mitnichten ein Erfolgsrezept gegen den Rechtsextremismus. Rassismus gab es auch zu DDR-Zeiten.

Wichtiger ist: Die nationalistische Rechte bedient sich zunehmend sozialer Themen, um Zuspruch zu rekrutieren. Ich kann auch nicht verhindern, wenn die NPD mit der Parole „Weg mit Hartz IV!“ hausiert. Die Differenz zwischen Links und Rechts dokumentiert sich ohnehin nicht im Nein. Sie zeigt sich im Ja, in den Alternativen. Und die sind fundamental und sie müssen auch als fundamental unterschiedlich erkennbar sein.

Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob von rechts „Ausländer raus“ und „Arbeit für Deutsche“, oder ob von links eine sozial-orientierte EU und Mindestlöhne für alle gefordert werden. Es ist ein ebenso fundamentaler Unterschied, ob die Linke „Krieg als Fortsetzung der Politik“ ablehnt, oder ob die Rechte kein deutsches Blut für US-Öl opfern will. Und es ist ein fundamentaler Unterschied, wenn die Rechte für die Würde „ordentlicher Deutscher“ und die Linke dagegen für die unantastbare Würde aller kämpft.

Daher meine dritte Position:
DIE LINKE muss immer eine Partei der sozialen Gerechtigkeit sein. Und natürlich muss sie auch eine Friedenspartei sein. Aber sie muss zugleich eine moderne sozialistische Bürgerrechtspartei sein. Sie darf nicht im „Anti“ verharren. Sie muss vor allem ihre Alternativen überzeugend anbieten.

Sobald DIE LINKE aber anfängt, Bürgerrechte und individuelle Freiheiten gering zu schätzen oder soziale Rechte gegen sie aufzuwiegen, fällt sie in alte Fehler zurück. Das gilt grundsätzlich und das gilt erst Recht im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Und vor allem: Man kriegt ihn nicht klein, wenn man versucht, ihm das Wort zu entziehen, um es „links“ gewendet wider zu käuen.

Mein 3-Punkte-Fazit:
1. Ich plädiere für einen gesellschaftlichen Marathon der Demokratinnen und Demokraten.
2. Wir brauchen eine Strategie, die sich auf Sachkenntnis stützt und die Zivilgesellschaft stärkt.
3. Die Linke darf nicht im Protest verharren, sie muss immer zugleich überzeugende politische Alternativen anbieten.
 

 

 

31.10.2006
www.petra-pau.de

 

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