Aktuelle Notiz: Schäuble I und viel mehr

von Petra Pau
Berlin, 5. September 2006

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnte gestern vor noch mehr Aktionismus und immer mehr Überwachung. Dafür hatte er einen Anlass und gute Gründe. Gestern tagte die Innenministerkonferenz. Und man einigte sich darauf, bis 2007 eine „Antiterror-Datei“, einzurichten und zudem bundesweit die Videoüberwachung an "neuralgischen" Punkten auszuweiten.

Beide Vorhaben waren lange umstritten. Zu Recht. Sie sollen angeblich helfen, Terroranschläge zu verhindern und Terrorverdächtige möglichst vor der Tat aufzuspüren. Dazu sollen die Daten-Bestände der polizeilichen Ermittlungsbehörden und der verschiedenen Geheimdienste vernetzt und über die Schnittstelle BKA wechselseitig zugänglich gemacht werden.

Das ist (rechtlich) neu und das tangiert das Grundgesetz mehrfach. Noch gilt aus guten Gründen ein Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten. Eine gemeinsame Antiterror-Datei könnte dieses Trennungsgebot unterlaufen und letztlich aushebeln. Davon negativ betroffen wäre u. a. die eigentliche Funktion der Polizei. Zugleich bekommen die Geheimdienste einen höheren Stellenwert.

Die Polizei hat zu ermitteln und zu handeln, wenn es den begründeten Verdacht einer Straftat gibt. Diese Aufgabe beschränkt auch ihren Datenbestand. Die Polizei ist außerdem an richterliche Vorgaben gebunden. All das trifft auf die Geheimdienste nicht zu. Sie agieren quasi im rechtsfreien Raum und sie sind unkontrollierbar. Das gehört zum Wesen und zur Funktion aller Geheimdienste.

Dieser Widersprüchlichkeit waren sich offenbar auch die Innenminister bewusst. Oberflächlich entspann sich daher ein Streit über zwei Modelle einer „Antiterror-Datei“. Im Schlagwort: „Volltext-Datei“ oder „Index-Datei“. Politisch: Unions-Minister contra SPD-Minister. Heraus kam ein fauler Kompromiss: Die „Antiterror-Datei“ soll kommen, zweigeteilt.

Mit ihr würden für alle Behörden und Dienste zugänglich, welche Personen auf irgendeiner Polizei- oder Geheimdienst-Datei erfasst sind. Weitere Angaben, wie Religionszugehörigkeit, Reisetätigkeit, Eßgewohnheiten, Kontakte und noch viel mehr, gehören zum geschlossenen Bereich. Sie können aber von den ermittelnden Behörden bei Bedarf erfragt werden - bei den Geheimdiensten.

Diese Zweiteilung macht die gemeinsame „Antiterror-Datei“ nicht harmloser. Vielmehr wächst die Gefahr, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger ins Kalkül irgendwelcher Verfolgungen geraten. Wobei: Das Zünglein an der Waage sind immer die Geheimdienste. Sie können Erkenntnisse zuteilen, Finten streuen oder Fährten verwischen, ganz nach Geheimdienst-Manier.

Wolfgang Wieland kündigte für die Fraktion der Grünen an, seine Partei werde darauf achten, dass die Antiterror-Datei ausschließlich zur Terrorfahndung verwendet wird. So spricht ein alternder Scherzbold. Noch nie haben sich Geheimdienste in ihre Karten gucken lassen. Früher gehörte das zur Allgemeinbildung der Grünen. Heute spielen sie den impotenten Sittenwächter.

Die Diskrepanz zum Grundgesetz betrifft nicht nur das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten. Die Antiterror-Datei ist zugleich ein weiterer Angriff auf den Datenschutz. Der Datei-Zweck ermutigt geradezu, noch mehr Daten zu sammeln, zu speichern, zu verarbeiten, zu handeln. Der gläserne Bürger wird mehr und mehr Realität. Damit gerät die Demokratie in Gefahr.

Im so genannten "Volkszählungs-Urteil" von 1983 hat das Bundesverfassungsgericht sehr grundsätzlich den Zusammenhang zwischen Datenschutz, Bürgerrechten und Demokratie beschrieben. Er stimmt noch immer. Und deshalb ist jeder - gut gemeinte oder hinterlistige - Eingriff in den Datenschutz ein Affront gegen die Demokratie und den Rechtsstaat.

Schon jetzt werden ganz persönliche Daten widerrechtlich gefordert und erfasst. Allein wer in oder über die USA fliegt, muss mehr als 30 Daten preisgeben, die eigentlich niemanden etwas angehen. Das Recht verbietet das, sagt das EU-Parlament. Die Praxis erfordert das, sagen die Luftverkehrsunternehmen. Die USA gebieten es, und wieder ist das Bürgerrecht zweiter Sieger.

Meine These ist ohnehin: Im Internet-Zeitalter sind alle Daten, die einmal frei gegeben werden - erzwungen oder freiwillig - unkontrollierbares Freiwild. Niemand weiß, wohin sie streunen. Niemand weiß, wer sie missbraucht. Niemand holt sie je zurück. Wer behauptet, „Datenschutz ist Täterschutz“, ist selbst Täter. Und wer meint, „Ich habe ja nichts zu verbergen“, wird Opfer.

Die "Antiterror-Datei" bewirkt genau das. Die zunehmende Video-Überwachung ebenfalls. Sie wurde in den letzten zehn Jahren verzehnfacht. Es gibt keine belastbare Untersuchung, dass deshalb die Kriminalität oder die Terrorgefahr auf ein Zehntel verringert wurde oder dadurch eine Straftat oder ein Anschlag vereitelt wurde. Man spielt mit den Ängsten der Bürger.

Nach den Attentaten in den USA am 11. 9. 2001 wurden zahlreiche Sicherheitsgesetze verabschiedet. Sie werden zuweilen nach dem damaligen Bundesinnenminister Schily als „Otto“-Pakete I - III bezeichnet. Mit der gestern vor-beschlossenen „Antiterror-Datei“ droht nun „Schäuble I“. Das letzte Wort hat der Bundestag. Doch da herrscht eine übergroße Unions-SPD-Koalition.

Die größten Brocken der "Otto"-Pakete hat das Bundesverfassungsgericht übrigens für Null und nichtig erklärt. Das war beim großen Lauschangriff so und das betraf auch das „Luftsicherheitsgesetz“. Für diese Rechtssprechung geriet das Bundesverfassungsgericht unter politischen Beschuss, insbesondere von der CDU/CSU. Auch das ist ein Angriff auf eine verbriefte Rechtsstaatlichkeit.

Die aktuellen Meldungen heute: „Nach jahrelangem Streit über die Antiterror-Datei einigten sich CDU und SPD endlich!“ So wird das eigentliche Problem zum puren Parteien-Gezänk verniedlichte. Dabei geht es um viel mehr, nicht zuletzt um die Frage: Wer erledigt die Bürgerrechte - fundamentalistische Terroristen oder tut es der Staat selbst? Und weiter gefragt: Wer lässt dies zu?

PS:
Mein zuständiger Pressesprecher wollte gestern, dass ich meine aktuelle Presseerklärung zur „Antiterror-Datei“ verbal aufrüste. Ich habe es nicht getan. Denn erstens will ich den tatsächlichen Gesetzentwurf erst lesen. Und zweitens lassen sich ständige Superlative irgendwann nicht mehr steigern. Aber auf Zusammenhänge und Hinterhalte will und werde ich natürlich weiter hinweisen.
 

 

 

5.9.2006
www.petra-pau.de

 

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