Der Rechtsstaat gewinnt nichts - die Bürgerrechte verlieren

Bundestag, 9. Februar 2006, „EU-Haftbefehl“
Rede von Petra Pau

1. 

Wir reden heute über ein Gesetz, das vom Bundestag vor knapp zwei Jahren beschlossen wurde. Es geht um den EU-Haftbefehl, also um ein Gesetz, das jede Bürgerin und jeden Bürger betreffen und treffen kann.
Dieses Gesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht für Null und nichtig erklärt. Es sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, so das Urteil. Ich merke an: Es gibt - und das ist schlimm - immer mehr solche Gesetze.

2. 

Heribert Prantl titelte damals in der „Süddeutschen“: „Aufklärung per Ohrfeige!“ Mit Ohrfeige meinte er den Bundestag. Mit Aufklärung, meinte er das Urteil.
Denn das Bundesverfassungsgericht hatte zugleich klargestellt: Der Bundestag muss mitnichten kopflos nachvollziehen, was die Regierungen über den Umweg EU so alles aushecken. Das ist ein guter Spruch!

3. 

Interessant waren die Äußerungen danach. Bundes-Justizministerin Zypris kommentierte das Urteil mit dem Satz: Das ist ein Rückschlag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Ich finde das bezeichnend.
Eine Justizministerin kritisiert das Bundesverfassungsgericht, weil es tat, wofür es da ist. Nämlich das Grundgesetz und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger schützen. Sie hätten ihm besser danken sollen.

4. 

Ebenso interessant war der Kommentar des Kollegen Bosbach (CDU/CSU). Er meinte: Wenn das Gesetz über den EU-Haftbefehl nicht zum Grundgesetz passe, dann müsse man halt das Grundgesetz ändern.
Ich fürchte: Gemessen am viel zitierten und umstrittenen Fragebogen für Muslime aus Baden-Württemberg hätten beide, die Ministerin und der CDU-Vize, bei Grundrechts-Fragen sehr schlechte Karten.

5. 

Im Kern geht es darum: Unter welchen Bedingungen müssen und dürfen Bürger an ein anderes EU-Land ausgeliefert werden, weil sie dort einer vermeintlichen Straftat verdächtigt werden?
Das Bundesverfassungsgericht sah hierfür engere Grenzen, als der Bundestag. Es hat sich also schützend vor „seine“ Bürgerinnen und Bürger und deren Rechte als Staatsbürger gestellt.

6. 

Nun liegt ein überarbeiteter Entwurf zum EU-Haftbefehl vor. Und die Frage lautet jetzt: Erfüllt das neue Gesetz die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat? Ich meine: Nein!
Und sie wissen: Mit dieser Auffassung steht die Linksfraktion nicht allein. Der Deutsche Anwaltsverein und die Bundesrechtsanwaltskammer haben bereits prophezeit: Auch dieses Gesetzt wird wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen und es wird dort verworfen werden.

7. 

Aber nicht nur hierzulande gibt es mahnende Stimmen. Belgien hat den Europäischen Gerichtshof angerufen, weil es grundlegende Zweifel hegt, ob der EU-Haftbefehl überhaupt mit EU-Rechten vereinbar ist.
Das Urteil steht noch aus. Trotzdem drücken die Regierungsfraktionen hier im Bundestag aufs Tempo. Das ist nicht souverän, sondern fahrlässig.

8. 

Zwei grundsätzliche Schlussgedanken:
Erstens: Der EU-Haftbefehl dient angeblich einem neuen, EU-weiten Recht. Was das aber für ein Recht sein soll, diese Frage wird tunlichst ausgeblendet. Stattdessen soll künftig alles strafbar sein, was irgendwo zwischen Spanien, Estland und der Türkei strafbar ist. Das ist jedenfalls die innewohnende Tendenz und das lehnt die Linksfraktion ab.
Zweitens: Beim EU-Haftbefehl geht es um eine politische Abwägung zwischen Sicherheits-Verlangen und Bürger-Rechten. Seit Jahren verlieren dabei in aller Regel die Bürger-Rechte. Das ist auch hier der Fall. Und auch deshalb bin ich gegen dieses Gesetz.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

9.2.2006
www.petra-pau.de

 

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