Bürgerrechte stärken

Grußwort von Petra Pau (Linkspartei) an die Jahresdelegiertenversammlung des Bundesausländerbeirates
Wiesbaden, 15. Oktober 2005

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich bin ihrer Einladung gerne gefolgt. Ich danke ihnen für ihr unersetzliches Engagement. Und ich nutze die Gelegenheit, mit ein paar Skizzen meine Sichten und Ziele zu umreißen.

1. 

Einwanderungs-Politik
 
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland, seit langem. Das ist meine Position. Aber Deutschland verhält sich nicht wie ein Einwanderungsland, noch immer nicht. Das ist unser Problem.
 
Die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, ist nicht einmal ausdiskutiert. Wir haben es zuletzt in den Debatten rund um das Zuwanderungsgesetz erlebt. Es sollte ein modernes werden, aber es wurde ein restriktives. Deshalb habe ich es auch im Bundestag abgelehnt.
 
So, wie es aussieht, so, wie sich die neue Bundesregierung zusammensetzen wird, werden wir auch in den nächsten vier Jahren kein gutes bekommen. Trotzdem drängt das Thema. Und dass es auch anders geht, erlebe ich gerade in meiner Heimatstadt Berlin.
 
Dort hat die Landesregierung gerade ein Integrationskonzept vorgelegt, zu dem es - soviel ich weiß - bundesweit bislang nichts Vergleichbares gibt. Das Leitmotiv der Berliner Integrationspolitik trägt den Titel: „Vielfalt fördern, Zusammenhalt stärken!“
 
In dem Konzept heißt es u. a.:
„Die Gestaltung von Zuwanderung und Integration ist eines der großen Zukunftsthemen der Stadt. Es besteht ein breiter Konsens2, dass die Stadt eine offensive Zuwanderungspolitik braucht, um den Austausch mit der Welt zu aktivieren, um Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft der Stadt, um die Erfahrungen anderer zu bereichern und um Menschen und Standort interkulturell kompetent zu machen. Die innere und äußere Stärke der Stadt wird wesentlich davon abhängen, wieweit es gelingt, Berlin als Einwanderungsstadt weiter zu entwickeln.“
 
Das ist ein anderer Ansatz, als ich anderswo lese und höre. Er löst nicht die vielen Probleme, die es auch im multinationalen Berlin gibt. Aber er öffnet überhaupt erstmal das Tor, hin zu Lösungen und weg von Verweigerungen. Ich lade sie also ein, sich mit dem Berliner Konzept vertraut zu machen und es kritisch zu begleiten.
 

2. 

Bürger-Rechte
 
Ich bin Innenpolitikerin und habe daher auch viel mit Einwanderungs-, Migrations- und Integrationspolitik zu tun. Aber indem ich das sage, mache ich natürlich schon einen Fehler. Denn allzu oft werden diese Themen auf Innenpolitik reduziert, obwohl die Probleme ganz woanders liegen. Ich will das an einem Beispiel illustrieren.
 
Wir haben bundesweit eine Arbeitslosigkeit um die zehn Prozent. In den neuen Bundesländern ist sie doppelt so hoch. Das ist ein Riesenproblem. Aber wie das mit Durchschnittszahlen so ist: Schaut man genauer hin, dann sieht man: Die Arbeitslosigkeit bei Deutschen mit Migrations-Hintergrund liegt bei 20 bis 40 Prozent, also auf Ost-Niveau.
 
Dieses gesellschaftliche Problem lässt sich natürlich nicht mit Mitteln der Innenpolitik lösen - obwohl es versucht wird. Dazu sind ganz andere Ressorts gefragt, von der Bildungs- bis zur Arbeitsmarkt-Politik. Aber es gibt Zusammenhänge, die selten angesprochen werden. Ich will es deshalb tun. Sie wissen vielleicht, dass ich, dass meine Partei, ganz grundsätzlich gegen die so genannte Arbeitsmarktreform „Hartz IV“ ist. Ich halte die ganze „Agenda 2010“ für den Gegenentwurf zu einem modernen, sozialen Bürgerrechtsstaat - mit schlimmen Folgen.
 
Wer Arbeitslosengeld II beantragt, also langzeitarbeitslos ist, muss einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Sie kennen das sicher. Dabei geht es um 150 bis 170 ganz persönliche und familiäre Daten. Wer diese Daten nicht Preis gibt, wird bestraft, wird sozial kalt gestellt. Mit Datenschutz hat das natürlich nichts zu tun, mit Menschen-Würde auch nicht.
 
Datenschutz und Würde sind aber Bürgerrechte und Bürgerrechte per Grundgesetz verbrieft. Praktisch erleben wir das Gegenteil: Wer ohnehin arm dran ist, der wird auch noch seiner Rechte als Bürgerin oder Bürger beraubt. Und das trifft wiederum besonders unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. So kann man unser Land nicht - wie es in der Berliner Konzeption heißt - „interkulturell kompetent“ und zukunftsfähig machen. So was schürt Zwiespalt und Angst.
 
Dabei gäbe es eine nahe liegende Lösung: Wir schlagen zum Beispiel eine bedarfsunabhängige Grundsicherung für alle, für jede und jeden vor. Mit einer solchen Grundsicherung entfielen alle Anlässe, persönliche Daten von Millionen zu erfassen und sie ihrer Bürgerrechte zu berauben. Denn es kann doch nicht sein, dass Bürgerrechte, wie der Datenschutz, nur für die Schönen und Reichen gelten. Da gelten sie übrigens unabhängig vom Pass. Was nur wieder zeigt: Die Konfliktlinien verlaufen nicht zwischen „Eingeborenen“ und Zugereisten. Sie spalten zwischen Arm und Reich.
 

3. 

Ring-Parabel
 
Ich bin übrigens nach wie vor für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Aus ganz pragmatischen Gründen, aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen. Wir erleben doch derzeit eine schizophrene Entwicklung. Die „Globalisierung“ ist in aller Munde und sie muss für alle möglichen Begründungen herhalten, vornehmlich, wenn es um Sozialabbau geht.
 
Natürlich gibt es die Globalisierung. Es gibt sie seit langem und noch länger war sie vorhersehbar. Riesige Kapitalströme schwadronieren um den Erdball. Die Märkte sind nahezu grenzenlos. Und Konzerne verlagern ihre Produktion nach Gutdünken und Börsenkursen. Nur die Menschen werden noch immer nationalstaatlich behandelt und begrenzt: Entweder Türke oder Deutscher, beides wird nicht zugelassen. Welt-Bürger sind nicht gefragt. Das ist schizophren, aber noch immer Programm.
 
Und dazu spielt die Begleitmusik. Ich werde immer hellhörig, wenn die Melodei von der Leitkultur aufgelegt wird. Sie ist überheblich und gefährlich. Sie zielt nicht auf Integration, sondern auf Assimilation. Und wir wissen aus der Geschichte, wohin das führen kann: ins Kulturlose.
 
Deutschland war immer gut beraten, wenn es sich für andere geöffnet hat. Und Deutschland war immer gefährlich und selbst gefährdet, wenn es sich über andere erhoben hat. Lessing hatte das bereits im „Nathan der Weise“ mit der „Ring-Parabel“ beschrieben. Ich teile diese Sicht und deshalb bin ich auch dagegen, christliche Werte über andere Religionen zu stellen.
 
Ich greife die Werte-Diskussion trotzdem gern auf. Mein Motto heißt: „Einer trage des anderen Last!“ Denn ich will Werte, wie Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität wieder stärker verankern - in der Politik und in der Gesellschaft. Das ist auch mein Angebot an sie.
 

4. 

Rechts-Extremismus
 
Noch einmal zurück zur Bundestagswahl: Nimmt man die großen Zahlen, dann hatten die rechtsextremen Parteien keine Chance. Das ist gut so. Schaut man allerdings tiefer, dann sieht das anders aus. Sie haben Regionen und Kieze erobert. Das ist gefährlich.
 
Seit 15 Jahren erfragt die PDS, neuerdings die Linkspartei, wie viele rechtsextremistische Straftaten die Bundesregierung registriert hat. Das macht keine andere Partei, leider. Und die meisten rechts-extremistischen Gewalttaten gelten Ausländern, vermeintlichen Nicht-Deutschen.
 
Die offizielle Statistik ist auf meiner Web-Seite nachlesbar. Sie besagt: Im Schnitt gibt es stündlich eine Straftat und täglich bis zu drei Gewalt-Taten. Dabei stapelt die offizielle Statistik tief. Es gibt viel mehr rechtsextremistische Angriffe und folglich noch mehr Leid.
 
Das wird gern ausgeblendet oder klein geschrieben. Aber es gehört zur gesellschaftlichen Herausforderung. Ich lehne jede Form von Rassismus und Nationalismus ab, egal, ob sie religiös verbrämt oder historisch verklärt daher kommen. Das gilt übrigens nicht nur für deutsche Extremismen. Menschenrechte sind universell und unteilbar.
 

Abschließend wiederhole ich meine Standardempfehlung:

Verlassen Sie sich nie auf die offizielle Politik, auf Parlamentarier oder Minister. Sie können Partner sein, aber sie können auch eigensinnig sein oder ganz andere Ziele verfolgen, als Sie. Wer ein Anliegen hat, sollte es daher nicht aus der Hand geben. Aber: Das wissen sie selbst. Deshalb will ich nicht länger Eulen nach Athen oder Uhus nach Wiesbaden tragen. Ihr Engagement zählt.

Dafür und für ihre Aufmerksamkeit danke ich.
Und ich wünsche uns gemeinsam Erfolg.
 

 

 

15.10.2005
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite