Die Alternative heißt:
Weiter Sozialabbau oder soziale Gerechtigkeit

Bundestag, 7. September 2005, Regierungserklärung
Rede von Petra Pau

1. 

15 Jahre falsche Kontinuität
 
Es ist die Stunde der Bilanz. Der Herr Bundeskanzler hat seine gezogen. Die CDU/CSU die ihrige. Ich werde unsere ziehen, also aus Sicht der linken Opposition, der PDS im Bundestag. Die CDU/CSU fordert mit ihrem Antrag sogar eine „ehrliche Abschlussbilanz.“ Daran knüpfe ich gerne an.
 
Denn genau betrachtet bilanzieren wir heute nicht sieben Jahre Rot-Grün. Wir ziehen einen Strich unter 15 Jahre dunkle Regierungspolitik. Erinnern Sie sich:
1998 war Bundeskanzler Schröder mit dem bemerkenswerten Satz angetreten: „Ich werde nicht alles anders, sondern besser (als die CDU/CSU) machen!“
Der erste Halbsatz ist eingelöst, der zweite ging gründlich daneben. Wir haben heute die höchste Arbeitslosigkeit, die größte Armut und die brisanteste Verschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die soziale Schieflage wurde noch schiefer und der Osten kippte wirklich.
Deshalb finde ich es zynisch, wenn Bundeskanzler Schröder in seiner Rede zur Vertrauensfrage sagte: Die zurück liegenden „Jahre - und ich bin stolz darauf - sind gute Jahre für unser Land gewesen!“ Das sehen Millionen im Land aus eigener Erfahrung anders, wir auch! Und ich finde es verlogen, wenn die CDU/CSU meint, mit ihr wäre es anders gekommen.
 
Bereits unter Kanzler Kohl galt als Zauberformel: Löhne runter, Arbeitszeit hoch, Steuern runter, die Lasten von oben nach unten und die Gewinne von unten nach oben verteilen. Dem ist Rot-Grün gefolgt. Das Ergebnis: Nichts wurde besser, aber vieles noch schlimmer.
Sie predigen Beschäftigten Verzicht und versprechen, das schaffe Arbeitsplätze. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kaufkraft sank, der Binnenmarkt bekam Schwindsucht und noch mehr Unternehmen gingen Pleite. Heute gibt es nicht weniger, sondern mehr Arbeitslose, mehr arme. Das ist die ehrliche Bilanz.
 
Sie haben Steuerreformen beschlossen, immer mit demselben Ergebnis: Der Sozialstaat wurde geschwächt. Und viele Kommunen, selbst Großstädte wie München, sind de facto Pleite. Sie fallen als Investoren aus und sie sind kaum noch in der Lage, die soziale und kulturelle Infrastruktur zu sichern.
Allein die letzte Steuerreform kostete meine Heimatstadt, das Land Berlin, eine Mrd. Euro Einnahmen jährlich. Das ist drei Mal so viel, wie die Berliner Steuerzahler für den unsäglichen Bankenskandal aufwenden müssen, der maßgeblich durch die CDU verursacht wurde.
 
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat erst dieser Tage vorgerechnet: Allein durch „Hartz IV“ hat die Kinderarmut noch einmal deutlich zugenommen. Und das in einem der reichsten Länder dieser Welt. Das ist kein statischer Unfall, das ist das Resultat einer falschen Politik.
Eine ehrliche Bilanz müsste zu dem Schluss kommen: Wer wirklich etwas besser machen will, muss in der Tat vieles anders machen. Natürlich auch anders, als es die CDU/CSU mit ihrem Wahlprogramm will. Denn ihr Angebot, Frau Merkel, ist alter Wein in neuen Schläuchen und der stößt bitter auf.
 
Deshalb bleibe ich dabei: Am Wahlabend geht es nicht um die Frage: Merkel oder Schröder. Die Alternative heißt: Weiter Sozialabbau oder endlich soziale Gerechtigkeit. Die Linkspartei will das Zweite.
Deshalb fordern wir auch einen gesetzlichen Mindestlohn. Denn wir meinen: Von Arbeit muss man leben können! Wir wollen eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung für alle. So kann Armut vermieden und Würde gestärkt werden. Und wir wollen nicht, dass die Risiken des Lebens immer weiter privatisiert werden. Deshalb fordern wir eine solidarische Bürgerversicherung.
 

2. 

Kein Friedenskanzler
 
„Wer Frieden will, muss standhaft sein“, heißt es auf SPD-Großflächen. Das stimmt. Deutschland hat sich dem aktiven Krieg gegen den Irak verweigert. Das war gut, zumal CDU und CSU anderes im Schilde führten. Aber nun hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt: Der Feldzug gegen den Irak war und ist völkerrechtswidrig. Und: Deutschland hat die Einsatzkräfte der USA und Großbritanniens unterstützt und ist damit Kriegsteilnehmer - sagt das Gericht.
 
Auch die deutschen Rüstungsexporte haben wieder zugenommen, selbst in Krisenregionen. Und so sehen wir auch hier eine Kontinuität zwischen der Kohl-Ära und der Schröder-Bilanz. Ich bin so lange im Bundestag, wie Rot-Grün regiert. In dieser Zeit musste ich über 40 Mal über Kriegseinsätze der Bundeswehr abstimmen. Die PDS im Bundestag hat verlässlich mit Nein gestimmt, während die CDU/CSU immer Ja und Amen gesagt hat.
 
Sie können sicher sein: Auch die neue Fraktion der Linkspartei wird dabei bleiben: Krieg darf kein Mittel der Politik sein, schon gar kein Alltagsmittel. Dagegen haben Millionen demonstriert, zu Recht.
 

3. 

Historische Chance verspielt
 
Nun komme ich zum Thema Bürgerrechte und Demokratie. Die Bürgerrechte sind unter Rot-Grün schwer unter Beschuss gekommen. Jeder weiß: Das lag an der privilegierten Partnerschaft zwischen Schily (SPD) und Beckstein (CSU).
Selbst da, wo es gute rot-grüne Ansätze gab - beim Zuwanderungsgesetz und beim Antidiskriminierungsgesetz - wurden sie bis zum Widerruf geknebelt.
Und so kam es bei Bürger- und Menschenrechten häufig zu einer eigenartigen Allianz: Ausgerechnet die FDP und die PDS kämpften gemeinsam gegen den Rest des Hohen Hauses. Die Grünen waren leider ein Ausfall.
 
Dabei nehme ich eines der SPD und den Grünen besonders übel. Wir hatten gemeinsam die Chance, endlich mehr Demokratie auch auf Bundesebene durchzusetzen. Rund um die EU-Verfassung hätten SPD, Grüne, FDP und PDS den gesellschaftlichen Druck für eine Volksabstimmung so verstärken können, dass die Bremsklötze bei der CDU/CSU klein bei geben müssten. Aber auch diese historische Chance hat Rot-Grün leichtfertig verspielt. Und so bleibt Deutschland in Sachen direkter Demokratie ein EU-Entwicklungsland. Auch das gehört zur Bilanz nach 15 Jahren Regierungspolitik. Und auch das muss sich ändern.
 

4. 

Volksabstimmung über Agenda 2010
 
Am Abend der NRW-Wahl hatte sich Bundeskanzler Schröder eine Neuwahl des Bundestages gewünscht. Er hat sie bekommen. Sie ist rechtlich fragwürdig, aber politisch vernünftig. Aber sie ist auch ein Treppenwitz. Derselbe SPD-Kanzler, der vehement gegen Volksabstimmungen gekämpft hatte, sagte plötzlich: Ich will eine Volksabstimmung über meinen politischen Kurs, über die Agenda 2010, über Hartz IV! Ich finde trotzdem: Das Angebot sollte niemand ausschlagen! Wer die Gesundheitsreform, wer Hartz IV usw. gut findet, der hat natürlich die Qual der Wahl, nämlich zwischen CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen. Wer das aber alles grundfalsch findet - der hat nur eine gute Wahl: Linkspartei.
 
Zu guter Letzt noch ein dickes Lob für Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und die Spitzen von CSU bis Grüne. Sie haben eine vorzügliche PR-Arbeit zugunsten der PDS im Bundestag geleistet. Natürlich durch ihr Politik, die wir ablehnen. Aber auch durch ihren Großmut und ihren Humor. Ohne ihn - ich erinnere nur an den ulkigen Streit um PDS-Tische - wären Gesine Lötzsch und ich nie so oft und so breit in die Medien gekommen. Also vielen Dank! Wir werden es ihnen alsbald mit einer starken Links-Fraktion vergelten.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

7.9.2005
www.petra-pau.de

 

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