Eine gute EU verdient Besseres

Bundestag, 16. Juni 2005, „EU-Debatte“
Rede von Petra Pau

1. 

Es ist bestimmt nicht übertrieben, wenn ich für die PDS im Bundestag festhalte: Die Europäische Union ist in einer tiefen Krise. Eigentlich steckt sie in mindestens drei Krisen. Wir haben eine EU-Verfassungs-Krise. Wir haben eine EU-Haushalts-Krise. Und wir haben eine tiefgehende EU-Legitimations-Krise.
Das alles ist nicht gut. Aber das hat sich lange abgezeichnet. Schauen Sie auf die Wahlen zum EU-Parlament in den zurückliegenden Jahren. Die Teilnahme sank von Wahl zu Wahl. Die EU wurde immer mehr Menschen gleichgültig, für zu viele sogar abstoßend.
Das halte ich für schlimm. Denn eine soziale, eine friedliche, eine demokratische Union ist eine urlinke Vision. Sie wäre eine gute Antwort auf die Geschichte. Und sie wäre ein wichtiger Beitrag für die Welt. Deshalb mahne ich alle: Wir dürfen die Krise der Europäischen Union nicht klein reden. Wir müssen sie annehmen und meistern.

2. 

Für viele Bürgerinnen und Bürger ist die EU ein fernes Gebilde, das ihnen nicht viel Gutes verheißt. Das kann stimmen. Das muss nicht stimmen. In vielen Fällen stimmt das auch nicht. Aber eine solche ablehnende Stimmung ist weit verbreitet. Und sie hat reale Ursachen.
Politisch gesagt:
Es mangelt der EU an Transparenz und es mangelt der EU an Demokratie. Genau dieses Manko musste sich über kurz oder lang negativ auswirken. Und es hat sich auch bei den Volksabstimmungen über die EU-Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden ausgewirkt.
Umso mehr warne ich davor, dass sich Deutschland nun als Musterländle fühlt, nur weil der Bundestag und der Bundesrat die EU-Verfassung ratifiziert hat. Das war sogar ein großer Fehler. Denn sie haben damit hierzulande das Demokratie-Defizit der EU erhöht.
Eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung wurde in Deutschland verhindert. Und die Verhinderer haben damit den Bürgerinnen und Bürgern signalisiert: „Wir schaffen die EU alleine, dazu werdet ihr nicht gebraucht.“ Eine EU aber, die ihre Bürgerinnen und Bürger nicht braucht, kann keine EU der Bürgerinnen und Bürger sein.
Dieses Demokratie-Defizit und die Folgen daraus sind das Resultat ihrer Politik: Der Politik der CDU, der CSU, der SPD und der Grünen. Nur die FDP und die PDS haben mehrfach gemahnt, auch in Deutschland eine Volksabstimmung zu ermöglichen und damit generell mehr Demokratie.
Die genannten Parteien, Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer, auch Kanzler-Kandidatin Merkel, sie alle haben sich selbstherrlich darüber hinweg gesetzt. Nun haben wir ein vorhersehbares, riesiges Problem. Kurzum: Selbst nach sieben Jahren Rot-Grün ist Deutschland in Sachen Demokratie ein EU-Entwicklungsland. Und wir haben eine EU-Krise, die niemand ernsthaft gutheißen kann.

3. 

Doch das Problem liegt noch tiefer. Es erschöpft sich nicht in der Form. Bürgerinnen und Bürger, die eine EU wollen, wollen natürlich eine EU für sich - was sonst. Das führt zu der Frage: Inwiefern steckt in der EU wirklich das drin, was von der großen Politik gern versprochen wird?
Auch hier gibt es riesige Defizite. Nehmen wir nur den Stabilitätspakt, der den EURO hart halten soll. Er setzt Grenzen für die Verschuldung der EU-Mitglieds-Staaten, er ist in aller Munde und er ist umstritten.
Der CDU/CSU gilt der Stabilitätspakt sogar immer wieder als Vorwand, um noch tiefer ins soziale Netz zu schneiden, als es Rot-Grün ohnehin tut. Das führt logisch dazu, dass viele sozial Betroffene „EU“ mit „Verlust“ übersetzen. Wir wollen eine EU als Gewinn.
Die PDS im Bundestag war immer skeptisch, wenn es um den Stabilitäts-Pakt ging. Wir haben ihn auch abgelehnt. Die Alternativ- oder Ergänzungs-Forderung der PDS hieß immer:„Sozial-Pakt“. Denn wir brauchen innerhalb der EU endlich verbindliche Vereinbarungen, die Lohndumping verhindern, die Steuerflucht erschweren, die soziale, ökologische und demokratische Werte manifestieren.
Genau das aber wurde bisher immer abgewehrt. Im Gegenteil: Mit der so genannten Dienstleistungs-Richtlinie sollte der allgemeine Sozialabbau sogar regelrecht als EU-Fortschritt verordnet werden. Dieser kapitale Unsinn verdient natürlich Widerstand und dagegen gibt es Widerstand.
Ein „Sozial-Pakt“ indes könnte die EU für viele entschärfen und er könnte die EU für viele interessant machen. Darum geht es mir, darum geht es der PDS. Deshalb ist es auch viel zu kurz gegriffen, wenn jetzt, da die EU-Krise offenbar ist, nur auf Zeitgewinn gespielt wird. Genau diese Befürchtung entnehme ich aber der aktuellen Regierungs-Erklärung des Bundes-Kanzlers und der laufenden Debatte.
Ich fordere stattdessen endlich eine gründliche, eine umfassende und eine demokratische Debatte über die Zukunft der Europäischen Union. Ein Austausch darüber, wie man die aktuellen Konflikte am besten unter Diplomaten oder Staatschefs Händeln könnte, ist uns einfach zu wenig. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf mehr. Denn eine gute EU verdient Besseres, wenn sie Bestand und Zukunft haben soll.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

16.6.2005
www.petra-pau.de

 

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