Aktuelle Notiz: DDR-Rentenrecht zum x.

von Petra Pau
Berlin, 19. Mai 2005

1. 

Am 12. Mai 2005 befasste sich der Bundestag erneut mit dem Rentenrecht, konkret mit Gesetzen, die zu DDR-Zeiten erworbene Rentenanrechte per BRD-Recht kürzen. Auslöser war wieder ein Urteil des Bundes-Verfassungsgerichtes. Das hatte am 23. Juni 2004 festgestellt: Das geltende Recht sei zum Teil grundgesetzwidrig. Es widerspreche vor allem Artikel 3, dem Gleichheitsgebot. Vorausgegangen waren wiederum Klagen von Betroffenen.

2. 

Amtsdeutsch ging es erneut um das RÜG, das Renten-Überleitungs-Gesetz von 1991. Das wiederum hat seine Wurzeln im Einigungsvertrag von 1990. Dabei wurde davon ausgegangen, dass „systemnahen“ Funktionären der DDR überhöhte Rentenansprüche bewilligt wurden. Ihre politische Verlässlichkeit sei dadurch höher bewertet worden, als ihre fachliche Eignung. Dieses Renten-Unrecht sollte per Gesetz auf das DDR-übliche Normalmaß zurückgeführt werden.

3. 

Zahlreiche Betroffene klagten dagegen durch die Instanzen - bis zum Bundesverfassungsgericht. Das stellte in seinem Urteil vom 23. Juni 2004 zwar nicht den politischen Grundsatz in Frage. Es kritisierte allerdings die rechtlichen Ausführungsbestimmungen. Der Bundestag stand daher vor der Wahl. Entweder er ändert bis zum 30. Juni 2005 das entsprechende Gesetz oder das bis dato geltende Recht wird hinfällig.

4. 

Die Regierungskoalition gab die Vorlage. Ihr „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Überführungsgesetzes“ (AAÜG) ist im Internet-Angebot des Bundestages als Drucksache 15/5314 nachlesbar. CDU und CSU begehrten in den parlamentarischen Ausschussberatungen, den Kreis der Betroffenen zu erweitern. SPD, Grüne und FDP folgten diesem Anliegen, siehe Bundestags-Drucksache 15/5488. Sie kann auch über mein Bundestags-Büro bestellt werden.

5. 

Am 12. Mai 2005 wurde das „AAÜG“ im Plenum abgestimmt. Die Fraktionen wollten dazu keine Debatte mehr führen. Ich bestand für die PDS im Bundestag auf unser Rederecht und so sprach ich als Einzige zum Thema. Schließlich stimmten nur Gesine Lötzsch und ich gegen den Gesetzentwurf. Er gilt also. Ob das neue AAÜG Bestand hat, ist nun wieder eine Frage, die von den Betroffenen und von den Gerichten zu beantworten ist. Ich halte es weiterhin politisch und sachlich für falsch.

6. 

Wie oberflächlich, absurd oder boshaft die Mehrheit des Bundestages noch immer mit dem Rentenrecht aus DDR-Zeiten umgeht, zeigt übrigens auch eine Passage aus dem neuen Gesetz. Zu den Strafwürdigen gehören auch Minister und stellvertretende Minister bis zum Stichtag 17. März 1990. Damit wird auch die Rente für die gesamte „Regierung der nationalen Verantwortung“ unter Ministerpräsident Hans Modrow, also auch für die DDR-Oppositionellen und Bürgerrechtler Sebastian Pflugbeil und Wolfgang Ullmann gekürzt - für Ullmann postum.
 

Meine Rede im Bundestag am 12. Mai 2005:

 

Das Rentenstrafrecht ist Unrecht

 

Am 23. Juli 2004 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt: Das geltende Recht für zahlreiche Bürgerinnen und Bürger der DDR ist verfassungswidrig. Das Ganze hat eine Vorgeschichte, an der alle bisherigen Bundesregierungen beteiligt waren. Der gewollte Kardinalfehler war: Das Rentensystem sollte als Strafsystem missbraucht werden. Die PDS hat immer gemahnt: Das ist sachfremd und politisch falsch. Es ist auch rechtlich falsch, wie das Verfassungsgericht feststellt.

 

Nun soll es geändert werden, erneut. Aber der Kardinalfehler bleibt. Auch das neue Gesetz bricht nicht mit dem eingeführten Rentenstrafrecht. Es verschärft es sogar. Danach sollen auch Mitglieder der Modrow-Regierung, wie die DDR-Bürgerrechtler Sebastian Pflugbeil oder der unbequeme, bündnis-grüne Demokrat Wolfgang Ullmann oder auch der Kollege Eppelmann, mit Renten-Entzug bestraft werden. Wer so etwas vorlegt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn er als inkompetent und unsozial kritisiert wird.

 

Aber es geht nicht nur um Inkompetenz. Es geht um Vorsatz und es geht um Unrecht. Im aktuellen Änderungs-Gesetz steht die Rente aus „staatsnahen Versorgungs-Systemen der DDR“ und für damalige Abteilungsleiter im Staatsapparat zur Diskussion. Das muss geändert werden. Aber das verfügte Unrecht geht viel weiter. So haben zum Beispiel Ingenieure und weitere Beschäftigte der INTERFLUG, der DDR-Luftfahrt-Gesellschaft, Beiträge für eine Zusatz-Rente bezahlt, die ihnen nach der Vereinigung schlicht aberkannt wurden.

 

Ich könnte weitere Beispiele nennen. Sie erinnern sich: Ballett-Tänzerinnen und -Tänzer konnten sich in der DDR versichern, weil ihre Berufsperspektive überschaubar und alters begrenzt war. Es ging dabei nie um unangemessene Reichtümer. Es ging um bezahlte soziale Sicherheiten im Alter. Sie wurden nach der Vereinigung getilgt.

 

Alle, die das Renten-Unrecht nicht hinnehmen wollten, mussten sich durch die Instanzen klagen. Die PDS hat sie dazu stets ermutigt. Zumeist haben sie vor dem Bundesverfassungsgericht sogar Recht bekommen. Das spricht gegen die Politik der Bundestags-Mehrheit. Denn fast alle Parteien im Hohen Haus haben das Rentenstrafrecht stets befürwortet. Die PDS war und ist dagegen.

 

Wir sind dagegen, dass ein Versicherungs-System politisch missbraucht wird. Ich bin auch dagegen, dass DDR-Bürger länger diskriminiert werden, nur weil sie DDR-Bürger waren. Auf einschlägigen Fragebögen in Bayern wird zum Beispiel noch immer als verfassungsfeindlich verdächtigt, wer zu DDR-Zeiten Bienen gezüchtet hat oder mit Mitmenschen solidarisch war. Deshalb abschließend: Ich verteidige hier nicht die DDR. Ich rede gegen den Blödsinn, den die Bundesrepublik verzapft. Das Rentenstrafrecht gehört dazu. Es ist Unrecht. Die PDS ist dagegen.
 

 

 

19.5.2005
www.petra-pau.de

 

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