Aktuelle Notiz: Zwiespältige Leidkultur im AA

von Petra Pau
Berlin, 2. April 2005

0. 

Seit Tagen wird im Auswärtigen Amt ein Aufstand geprobt. Diplomaten sammeln Unterschriften wider ihren Minister. Interne Briefe werden an BILD lanciert. Politiker anderer Parteien frohlocken ob der Revolte gegen den grünen Fischer. Der steckt bereits angesichts der „Visa-Affäre“ im Schwitzkasten, nun kommt die interne „Nachruf-Affäre“ dazu.

1. 

Worum geht es? Ein Generalkonsul a. D. der Bundesrepublik Deutschland war 2003 verstorben und danach in der hauseigenen Zeitung „internAA“ geehrt worden. Ein bis dato offenbar übliches Verfahren. Doch diesmal regte sich Unmut, international. Zu Recht war von einem Affront gegenüber Opfer des NS-Regimes die Rede. Denn der Diplomat Franz Nüßlein war vor 1945 Mitglied der NSDAP und der SS.

2. 

Mit dieser braunen Vergangenheit stand Nüßlein allerdings nie allein. Viele alte Kameraden waren dabei, als das Auswärtige Amt der Bundesrepublik 1951 eingerichtet wurde. Noch 1968 wurden 520 Mitarbeiter mit NS-Verstrickungen gezählt. Doch der verstorbene Generalkonsul a. D. hatte sich nicht nur verheddert. Er war für Nazi-Verbrechen im „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ verantwortlich.

3. 

Nach der internationalen Kritik an der amtlichen Posthum-Ehrung Nüßleins zog Minister Fischer (Bündnis 90/Die Grüne) die Notbremse. Fürderhin, verfügte er, dürfe Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes, die zuvor NSDAP-Mitglieder waren, nicht mehr ehrend gedacht werden, jedenfalls nicht in der „internAA“. Dieser Fischer-Erlass erhitzt nun die Gemüter der ansonsten so coolen Diplomaten.

4. 

Im Oktober 2004 starb ein weiterer Diplomat der Bundesrepublik, Franz Krapf. Auch er war Mitglied der Hitler-Partei. In den 70er Jahren agierte er als NATO-Botschafter. Sein Tod wurde im Auswärtigen Amt angezeigt, nunmehr ohne das „ehrende Andenken“. Daraufhin schalteten 128 Ex-Kollegen des Verstorbenen in der FAZ einen würdigenden Nachruf und seither ist das Zerwürfnis im „Hause Fischer“ publik.

5. 

Nun schreibe ich nicht, wie jüngst mein Parteifreund Wolfgang Gehrke: „Hände weg von Joschka Fischer!“ Ich mag ihn nicht, den arroganten Grünen, der gefährlich mit der Macht spielt und überheblich auf Andersdenkende herab blickt. Ich verfasse diese aktuelle Notiz aus zwei anderen Gründen. Denn die „Nachlass-Affäre“ erhellt viel über aktuelle deutsche Geschichte, was sonst gern verdunkelt wird.

6. 

Es hat in der Bundesrepublik (alt) nie einen wirklichen Bruch mit dem Staatsapparat des NS-Regimes gegeben. Das ist tausendfach belegt. Auch Bundeswehr-Kasernen tragen noch immer die Namen von Wehrmachts-„Helden“. „Ehre, wem Ehre gebührt“?! Auch sechs Jahre Regierung von SPD und Grünen haben daran wenig geändert. Deshalb finde ich: Die Revolte im Auswärtigen Amt kommt zur rechten Zeit. Sie lässt nämlich rechtzeitig vor dem Jahrestag der Befreiung vom Faschismus zweifeln.

7. 

Und die „Affäre“ hat einen Nebenpfad. Der deutsche Botschafter in Bern kritisierte Fischer in seinem veröffentlichten Brief, weil der Außenminister stupide grundsätzlich handele. Denn Fischer habe angeordnet, Mitgliedern von Nazi-Organisationen die Ehre zu verweigern, auch wenn diese keine Täter, sondern nur Mitläufer waren. Damit verweigere er jede Differenzierung. Von da an wird's spannend.

8. 

Ja, auch so etwas gab es. Aus manchen Mitläufern der NSDAP wurden sogar Widerstandskämpfer gegen den Faschismus. Was auf die beiden aktuell umstrittenen AA-Toten allerdings nicht zutraf. Aber darüber gibt es Historien, Analysen, Bücher. Sie alle belegen: Das „Reichsamt“ war kein Widerstandshort. Seine Führer haben z. B. die industrielle Vernichtung von Jüdinnen und Juden mit geplant und befördert. Das gehört zur Geschichte - keiner Ehrung würdig - im Gegenteil!

9. 

Der Nebenpfad ist der bundesdeutsche Umgang mit der Nachkriegs-Geschichte, auch mit der DDR. Genüsslich wurde in den letzten Jahren vorgerechnet, dass auch im Osten Deutschlands etliche Funktionsträger des 3. Reiches in neue Ämter gekommen waren. Die bundesdeutsche Postille war empört. Sie differenzierte nicht, sie verurteilte. Und sie steigerte sich, im Schlepptau der offiziellen Politik.

10. 

In Bayern und anderen Bundesländern gibt es seither klare Regeln. Wer aus der DDR kommt, muss undifferenziert angeben, ob er oder sie in der SED oder dem MfS zu Diensten war. Auch wer im Kleingartenverband der DDR mitarbeitete oder lediglich organisiert Bienen züchtete, steht unter Generalverdacht. Dafür gibt es noch immer amtliche Gesinnungs-Erlasse und entsprechende Frage-Bögen. Dafür! Wofür?

 

 

2.4.2005
www.petra-pau.de

 

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