Agenda sozial statt „2010“

Bundestag, 24. November 2004, „Haushalts-General-Debatte“
Rede von Petra Pau

1. 

Wer 3x lügt
Die PDS im Bundestag wird den Haushaltsplan 2005 ablehnen. Der Grund ist plausibel. Wir halten die dahinter stehende Politik für falsch.
Die Bundesregierung gibt vor: Mit ihrer „Agenda 2010“ werde der Sozial-Staat gestärkt. Tatsächlich werden der Staat und Soziales geschwächt.
Die Bundesregierung gibt vor: Mit ihrer Außenpolitik werde der Friede gesichert. Tatsächlich werden Kriege geführt und aufgerüstet.
Die Bundesregierung gibt vor: Mit ihrer Innenpolitik werde Sicherheit geschaffen. Tatsächlich werden Bürgerrechte und Demokratie blockiert.
Diese rot-grüne General-Linie haben wir stets kritisiert. Wir werden das auch weiterhin als linke Opposition tun. Und sie kennen das Sprichwort: „Wer dreimal lügt, dem glaubt man nicht!“

2. 

Unmündig und Knechte
Die Opposition zur Rechten bietet nichts Besseres.
Der aktuelle Gesundheits-Kompromiss zwischen CDU und CSU belegt es. Er ist ein Bazillus und kein Heilmittel. Er belastet die Beladenen. Er passt weder auf den Bierdeckel von Friedrich Merz, noch auf den Rezeptblock von Horst Seehofer.
Aber auch das sei nicht vergessen: Ihre Partei, Frau Merkel, hat die Debatte für weltweite Präventions-Kriege im Bundestag eröffnet. Und hätten Sie das Sagen gehabt, dann wäre Deutschland unmittelbar an dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA im Irak beteiligt.
Inzwischen haben sich CDU und CSU auch noch dem Feldzug der FDP gegen die Gewerkschaften angeschlossen. Ihr Angebot fürs 21. Jahrhundert heißt: Mehr arbeiten für weniger Lohn. Oder wie es in einem alten Arbeiterlied heißt - „unmündig nennt man uns und Knechte“.
Deshalb wiederhole ich: Die Konzepte der CDU/CSU wären der schwarze Punkt aufs rot-grüne „i“. Davor bewahren uns Herz und Verstand.

3. 

Spitzensteuer und Sozialstaat
Zurück zum Haushalt der Bundesregierung:
Er basiert auf einer Steuerreform, die den Sozialstaat verarmt, die Wohlhabende belohnt und Arme belastet.
Sie verkaufen das als sozial gerecht und wundern sich, dass dies immer weniger glauben. Zu Recht: Denn die rot-grüne Steuerreform ist weder sozial, noch gerecht. Sie setzt die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von Unten nach Oben fort.
Wir wollen mit dem Steuerkonzept der PDS das Gegenteil. Deshalb haben wir auch beantragt, den Spitzensteuersatz nicht abzusenken und die Vermögenssteuer wieder einzuführen.

4. 

2010 - ein Gegenentwurf
Ein zentraler Punkt ihrer „Agenda 2010“ heißt „Hartz IV“. Sie verkaufen ihn als Reform gegen die Massenarbeitslosigkeit. Zu Unrecht.
Ich habe mehrfach vorgerechnet, warum „Hartz IV“ schlecht für den Westen und Gift für den Osten ist. Meine Argumente wurden nie widerlegt. Und die Zahlen zeigen: Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt und steigt. Deshalb wiederhole ich meine Generalkritik: Die „Agenda 2010“ ist ein Gegenentwurf zu einem modernen demokratischen Sozialstaat. Deshalb lehnen wir sie auch so grundsätzlich ab.

5. 

Stop für Frauenbewegung
Die PDS bleibt dabei: Solidarität und Gerechtigkeit sind unverzichtbare und übersichtliche Werte: Reiche helfen Armen, Gesunde helfen Kranken, Junge helfen Alten, usw..
Genau diese Prinzipien aber werden mit der „Agenda 2010“ aufgegebenen. Viele Grünen bejubeln die Abkehr vom solidarischen Sozialstaat sogar als Zukunfts-Modell, manche sogar so laut, dass sie das Grummeln in den Arbeits- und Sozialämtern nicht mehr hören können.
Ich habe als gelernte DDR-Bürgerin versucht, von den Grünen zu lernen. Aber es bringt nichts mehr. Zu viele Grüne haben sich inzwischen von Bürgerrechten, von der Solidarität und von der Friedenspflicht verabschiedet.
Denn auch das gehört zum Thema: Verlierer des „Hartz IV“-Gesetzes und der Arbeitslosengeld II-Regeln sind vor allem Frauen. Nach über 100 Jahren Frauenbewegung und Emanzipationsstreben hat ausgerechnet Rot-Grün ein Stoppzeichen gesetzt. So wird Geschichte entsorgt.

6. 

Sorben und Leitkultur
„Solidarität als Zukunftsmodell“ ist auch vor einem anderen Hintergrund wichtig. Ich vernehme mit Sorge, wie die CDU/CSU die unsägliche Debatte über eine vermeintliche deutsche Leitkultur wieder aufwärmt.
Die Diskussion dreht sich um ein gefährliches Phantom: Sie spaltet und macht arm, intellektuell und kulturell. Und sie macht blind.
Auf der Kölner Kundgebung am Wochenende für ein friedliches Miteinander meinte Bayerns Innenminister, er wolle nirgendwo zweisprachige Ortsschilder sehen, das widerspreche seinem deutschen Leitbild.
Liebe Bayern! Es gibt zweisprachige Ortsschilder, in Sachsen und in Brandenburg, überall dort, wo von altersher Sorbinnen und Sorben leben, mit ihrer slawischen Sprache und Kultur. Und weil das so bleiben soll, appelliere ich an Rot-Grün: Nehmen sie die im Haushalt geplanten Kürzungen für die sorbische Stiftung zurück. Sie gefährden sonst eine Kultur die zum multikulturellen Deutschland gehört wie das Boseln in Bremen oder der Kirchgang im Allgäu.

7. 

600 Millionen für Besseres
Wenige Bemerkungen zum Verteidigungshaushalt: Schon der Name ist falsch, denn es geht ja nicht mehr um Landesverteidigung. Es geht um weltweite Interventionen, die das Grundgesetz bekanntlich nicht vorsieht.
Wir haben hochgerechnet: Würde die Bundesregierung nur auf die Umrüstung der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee verzichten, dann würden allein 2005 ca. 600 Mio. € für Besseres frei, zum Beispiel für Entwicklungshilfe. Unser Antrag liegt vor. Noch können Sie zustimmen.

8. 

Gesellschaftsvertrag fürs 21.
Abschließend: Die Regierungsfraktionen haben erneut versucht, ihren Haushalt und ihre Politik als „alternativlos“ schönzureden. Das ist nicht nur falsch, das ist auch langweilig. Denn es gibt immer Alternativen.
Die PDS setzt der rot-grünen „Agenda 2010“ zum Beispiel eine „Agenda sozial“ entgegen. Dazu gehören ein alternatives Steuerkonzept, eine solidarische Bürgerversicherung und eine gerechte Rentenreform.
Unsere „Agenda sozial“ ist ein tief gehendes Reform-Angebot:
Wir wollen eine andere Steuerpolitik, eine, die von oben nach unten verteilt und nicht andersherum.
Wir wollen eine andere Sozialpolitik, eine die gerecht und solidarisch wirkt und nicht die Betroffenen zusätzlich belastet.
Wir wollen mehr Mitbestimmung und Demokratie, kein „Basta“.
Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag fürs 21. Jahrhundert.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

24.11.2004
www.petra-pau.de

 

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