Welternährungs-Disput

Bundestag, 29. Januar 2004, Tagesordnungspunkt 5 „Welternährungssituation“
Rede von Petra Pau

(zu Protokoll gegeben)

Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

bei mir hinterlassen die vorliegenden Anträge und Reden den faden Beigeschmack einer Alibi-Veranstaltung, inszeniert zur Beruhigung des schlechten Gewissens - in Anbetracht hunderttausendfachen Hungers und unzähliger Verhungerter, die keine Statistik erfasst.

Auch ist der Debattenbegriff „Welternährung“ ein Abstraktum. Er dient mehr der Verschleierung als Erhellung. Das zu lösende Problem ist doch nicht die Welternährung. Die ist - statistisch gesehen - bereits heute gesichert. Nahrungsmittel werden ausreichend produziert. Und trotzdem verhungern Menschen.

Die eigentliche Frage ist also eine ganz konkrete, die nach dem deutschen und EU-Beitrag zur Überwindung des Hungers, dieser Geisel vieler Entwicklungsländer.

Weder der zur Annahme empfohlene Koalitionsantrag noch der CDU/CSU-Antrag geben darauf ausreichend Antwort.

Der Antrag der Koalition belässt es dabei, festzustellen, dass die Zahl der Hungernden jährlich um durchschnittlich 2,5 Millionen abgenommen habe anstatt um 24 Millionen, die notwendig wären, um bis 2015 die vom Welternährungsgipfel 1996 beschlossene Halbierung der Zahl der in dieser Welt hungernden Menschen zu erreichen.
Hier macht die Koalition einen Punkt. Es gibt keine Wertung geschweige denn eine Schlussfolgerung. Dabei ergibt sich aus diesen Zahlen, dass das Halbierungsziel erst 2060 - also mit 45 Jahren Verspätung (!) - erreicht würde.

Der Antrag der CDU/CSU beruhigt damit, dass - ich zitiere - „sich die Versorgung der Menschen in den letzten Jahrzehnten enorm verbessert hat“. Mit dieser Formulierung wird einfach ausgeblendet, dass die Zahl der Hungernden seit Mitte der 90er Jahre wieder angestiegen ist. Dies besagt der „Bericht zu Hunger und Unterernährung 2003“ der FAO. Darin steht wörtlich: „Die Bekämpfung des Hungers hat … einen Rückschlag erlitten.“
 
Besonders schlimm finde ich den Missbrauch dieses ernsten Themas durch die CDU/CSU. Ihr Antrag ist ein reiner Pro-Gentechnik-Antrag im Interesse der Kapitalverwertungsinteressen der Industrie. Er geht glatt an den Bedürfnissen und Bedingungen der Entwicklungsländer vorbei. Außer dem „Wundermittel“ Gentechnik wird darin nichts zur Überwindung von Hunger und Unterernährung angeboten. (Damit schließe ich nicht aus, dass die grüne Gentechnik - sollten sich heutige Bedenken als gegenstandslos erweisen - früher oder später ein Mittel zur Steigerung der Agrarproduktion sein kann.)

Fakt ist, dass Deutschland, die EU, USA und anderen Industrienationen durch ihre Politik der Agrarsubventionen, des erschwerten Marktzugangs für landwirtschaftliche Produkte, der Waffenlieferungen, des Abbaus landwirtschaftlicher Entwicklungshilfe, des Verfalls von Weltmarktpreisen für landwirtschaftliche Exportprodukte der Länder der Dritten Welt zur weltweiten Ausbreitung von Hunger und zu den bisher unzureichenden Ergebnissen bei der Bekämpfung des Hungers beitragen.

Die Lösung der Ernährungsfrage ist deshalb untrennbar mit dem Kampf um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung verbunden.

Für die PDS hat die Sicherung der Ernährung und der Erhalt ländlicher Wirtschaftskraft Vorrang vor handelspolitischen Interessen. Sie vertritt deshalb folgende Positionen:

1. 

Die Exportsubventionen, die Millionen von Landwirten in den Ländern des Südens in den Ruin treiben, müssen abgeschafft werden. Anstatt die Entwicklungsländer mit europäischen Agrarprodukten zu Dumpingpreisen zu überschütten, muss die EU diesen Ländern helfen, gesunde Binnenmärkte aufzubauen und regionale Wirtschaftskreisläufe herauszubilden.

2. 

Importe agrarischer Billig-Rohstoffe, die zu Lasten der Nahrungsproduktion in den Entwicklungsländern erzeugt werden, sind zu drosseln und durch Eigenprodukte zu ersetzen (Eiweißfutter, Edelhölzer)

3. 

Erforderlich ist eine differenzierte Sonder- und Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer. Unsere Unterstützung hat deshalb die auch in Cancun erhobene Forderung auf Einrichtung einer „Development-Box“ im WTO-Regelwerk.
Ohne Außenschutz sind keine Stärkung lokaler und regionaler Wirtschaftskreisläufe und die Sicherung der Eigenversorgung mit Grundnahrungsmitteln möglich.

4. 

Deutschland sollte das von der FAO vorgeschlagene Anti-Hungerprogramm kräftig unterstützen. Mit Nahrungsmittelnothilfe für die Ärmsten, sowie Investitionen in Landwirtschaft, natürliche Ressourcen, Infrastruktur und Ausbildung könnten die Lebensbedingungen von Millionen armer Menschen in den ländlichen Gebieten der Dritten Welt entscheidend verbessert und Hunger verringert werden. Das setzt voraus, dass Deutschland endlich seiner Verpflichtung bei der Entwicklungshilfe voll nachkommt.
Immerhin haben die EU-Mitgliedstaaten zugesagt, 0,7% ihres Bruttoinlandprodukts für die Finanzierung von Entwicklungshilfe bereitzustellen. Aber elf von fünfzehn Mitgliedsstaaten haben dieses Versprechen nicht erfüllt. Darunter ist nach wie vor auch Deutschland.

Es reicht also nicht, im Bundestag Betroffenheit zu zelebrieren und anschließend den Tagesordnungspunkt abzuhaken. Die Koalition sollte handeln und nicht bloß reden.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

29.1.2004
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite