Aktuelle Notiz: Der Palast der Republik - kein Abgesang

von Petra Pau
Berlin, 15. November 2003

Der Bundestag brauchte eine ganze Minute. Dann stand fest: Der „Palast der Republik“ soll abgerissen werden. Die Nachrichten meldeten es, ebenso kurz. Als das erste Gerücht die Runde machte, man wolle den DDR-Palast schleifen, da protestierten spontan Hunderte dagegen, Woche für Woche. Seither sind zwölf Jahre vergangen. Sie haben das Gebäude getrübt und sie haben Fragen erhellt. Gerade deshalb gebührt dem Streit um den „Palast“ weit mehr, als ein nostalgischer Rückblick.

Ich habe den Palast aus verschiedenen Perspektiven erlebt. Als ich jung war begeistert, er leuchtete und versprach Spaß. Später lernte ich seine „Schöpfer“ kennen, zum Beispiel Prof. Graffunder. Sie gaben mir ein Gespür für Architektur, Stadtgestaltung, Baugeschichte und andere politische Zusammenhänge. Das öffnete mich auch für Gegenargumente. Etwa: Das Schloss sei ein Anker für alle historischen Bauten im Umfeld, vom Lustgarten bis „Unter den Linden“. Das ließ mich bedenken, aber es überzeugte mich nicht. Gleichwohl: Je umstrittener der „Palast“ wurde, umso mehr zog er Debatten, Sichten, Probleme auf sich. Und das war gut.

Von Anfang an war viel Ideologie im Spiel, Ostalgie und Westalgie, Missdeutungen und Misstrauen. Der Palast-Streit spiegelte Stimmungen und was insgesamt im deutsch-deutschen Einigungsprozess verquer lief. Er wurde zum umkämpften Symbol. Ob Arbeitslosigkeit oder Weltfrieden, ob Bürgerwille oder Kapitalstaat, alles wurde am Rande und am Beispiel der Asbest-Baustelle ereifert. Es gab Klassenkampf und Kultur, große Politik und kleine Episoden, Solidarität und Souvenirs. Die PDS war mittendrin. Andere fanden eine zweite Berufung. Sie wurden Botschafter des Palastes.

Nach zehn Jahren Streit versuchte die Berliner PDS aus der blockierten Debatte auszubrechen. „Schloss contra Palast“ hatte in die Sackgasse geführt. Vor allem Thomas Flierl, Carola Freundl und Katrin Lompscher öffneten nun eine neue Perspektive. Sie rückten die Spree-Insel und den Schloss-Platz ins Blickfeld und fragten: Was soll hier Gestalt gewinnen? Welche Hoffnung trägt? Welche Spannung lässt sich im magischen Dreieck mit dem Regierungsviertel und dem Potsdamer Platz entwickeln? Es war ein offenes Konzept, ein einladendes, ein demokratisches. (s. http://www.pds-berlin.de/politik/dok/2000/000118mitte.html)

Die Idee lief auf ein Areal der Bürgerinnen und Bürger, auf eine Agora im besten Sinne hinaus, alternativ, staatsfern, demokratisch. NGOs, also Nicht-Regierungs-Organisationen, sollten hier Raum greifen, internationale Kulturen, offene Strukturen, lebendige Bewegungen. Zugleich fand das Gegenteil wortreiche Anwälte. Die einen wollten den BND, einen Geheimdienst, am Schloss-Platz anzusiedeln. Andere warben für eine Privat-Uni, die Eliten aus Nah und Fern anziehen mögen. Selbst die Vision eines öffentlichen „Humboldt“-Forums im Schlossgemäuer bröckelte, ehe sie stand. Zuletzt gab es Begierden, aber kein Konzept mehr, das wirklich trug.

Derweil drängte insbesondere die CDU auf finale Fakten. Immer mehr Sozialdemokraten und Grüne beugten sich dem Druck. Prominente, wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, sangen crescendo: „Ich bau Dir ein Schloss“. Wovon und wofür wurde nachrangig. Andere verweigerten sich schlicht der Denkarbeit. Sie sprühten, wie Vera Lengsfeld (CDU), ihren Hass auf die DDR gegen den Palast aus der DDR. Schließlich entschied sich der Bundestag am 4. 07. 2002 mit großer Mehrheit - auch mit zwei PDS-Stimmen - für eine Architektur in der Kubatour des alten Schlosses. Eine Alternative der PDS-Fraktion wurde abgelehnt. Öffentlich wurde das als „Aus für den Palast“ gehandelt. So war es von vielen auch gemeint.

Nur: Beschlossen war dies nicht, jedenfalls gab der Wortlaut das nicht her, nicht zwingend. Deshalb erinnerte ich am 11. November 2003 daran: „Der Bundestag hat drei Seiten des Neubaus beschrieben: die West-, die Nord- und die Süd-Seite. Das gilt. Die Ost-Seite ist offen, was nicht ausschließt, Teile des Palastes zu erhalten. Eine Option, die nicht ohne Not verworfen werden sollte.“ Keine „Hintertür“ zur Verteidigung des Palastes von einst, sondern ein „Einfallstor“ für Lösungen mit Grips. Die boten sich längst an. Schon nach dem ersten Wettbewerb zur Gestaltung des Schlossplatzes waren Ideen geboren, die mit dem „Entweder-Oder“ brachen und aus „Schloss und Palast“ etwas Neues formten.

Gleichwohl verfügte der Bundestag am 13. November 2003 mit klarer Mehrheit: Der „Palast der Republik“ muss weg. Es gab keine Debatte, kein Pro und Kontra. Der Abriss wurde bestellt, wie bei der Müllabfuhr. Die Ideologen hatten obsiegt, das Denken wurde verstummt. Tags darauf griffen nahezu alle größeren Zeitungen das Thema auf, mit Kommentaren und im Feuilleton. Bei aller Vielfalt waren sich die Autorinnen und Autoren einig wie selten: Der Bundestag hat ein politisches Nichts beschlossen, ein hauptstädtisches Loch, ein Zeugnis geistiger Armut. Ganz zu schweigen von den leeren Kassen im Bund und im Lande, die jedwede Schloss-Träumer ohnehin als schwarze Hasardeure entlarven.

Auch deshalb schreibe ich keinen trotzigen Abgesang an den „Palast“. Ich will mir Mut machen und anderen. Noch steht der „Stein des Anstoßes“. Er ist gealtert worden und unattraktiv. Er leuchtet nicht und er verspricht keinen Spaß. Es sei denn, man hält es mit Brecht, wonach Denken die größte Lebenslust ist. So lange der „Palast“ wundern, fragen, ärgern lässt, so lange kann er der Dummheit wehren und spannende Debatte provozieren: woher kommt die Geschichte, wohin will die Gesellschaft und was soll die Hauptstadt im Herzen werden.
 

 

 

15.11.2003
www.petra-pau.de

 

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